04.01.2010 | Claudia Schwalfenberg

Runder Tisch Baukultur

Baukultur hat im letzten Jahrzehnt an Boden gewonnen - und das nicht nur als Begriff, der plötzlich in aller Munde zu sein scheint. Gestützt auf Beispiele in Europa ruft der SIA jetzt einen Runden Tisch Baukultur Schweiz ins Leben.

Der SIA mit seiner langen Tradition interdisziplinären Zusammenwirkens und ganzheitlicher Betrachtung kann für sich in Anspruch nehmen, Baukultur schon immer gelebt zu haben. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gibt es in der Schweiz aber bisher keine übergreifende Initiative zur Stärkung der Baukultur. Zwar nimmt der Schweizer Heimatschutz für sich in Anspruch, "die führende Schweizer Non-Profit-Organisation im Bereich Baukultur" zu sein. Einen systematischen Versuch, die unterschiedlichen Akteure im Bereich Baukultur zu vernetzen, hat es bis jetzt aber nicht gegeben. Um das Gespräch über Baukultur neu zu beleben, hat die Direktion des SIA am 8. Dezember 2009 beschlossen, eine "Runden Tisch Baukultur Schweiz" ins Leben zu rufen. Das Ziel des Runden Tisches ist eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Baukultur und eine politische Verankerung des Themas als ganzheitliches, ressortübergreifendes Anliegen. Die Initiative des SIA stützt sich auf Beispiele in verschiedenen europäischen Ländern, seien es die Niederlande, die skandinavischen Länder, Frankreich, Grossbritannien oder Irland. Der Begriff Baukultur hat sich im letzten Jahrzehnt vor allem in Deutschland und Österreich etabliert.

Beirat und Berichte

So ist Baukultur seit Frühjahr 2009 in Österreich Chefsache. Auf Initiative des Österreichischen Nationalrats trat Anfang März 2009 in Wien erstmalig der Beirat für Baukultur im Bundeskanzleramt zusammen. Aufgabe des Beirats ist die "Etablierung und Förderung eines österreichweiten Baukultur-Dialogs". Vertreten sind die betroffenen Ressorts auf Bundesebene, die Länder und Gemeinden sowie unabhängige Expertinnen und Experten. Den Vorsitz hat die Architektin Bettina Götz inne. Die Einrichtung des Beirats für Baukultur ist der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Aktivitäten, darunter ein Baukulturreport, der künftig alle fünf Jahre erscheinen soll. Die erste Ausgabe, der Österreichische Baukulturreport 2006, ist 500 Seiten stark und gliedert sich in sechs Bände: Empfehlungen, Verantwortung, Öffentlichkeit, Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Produktion. Die Titel der einzelnen Bände deuten das breite Spektrum von Themen an, die im Report behandelt werden, von politischen Fragen bis hin zu einer angestrebten Partnerschaft von Baukultur und Tourismus. Eine Suche nach einzelnen Stichworten ist auf der Webseite möglich. In Deutschland legte die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits 2002 einen Statusbericht zur Lage der Baukultur in Deutschland mit Analysen zur Ausgangslage und Empfehlungen vor. Der zweite Bericht mit Fallbeispielen folgte nur drei Jahre später und erschien 2007 nochmals zugespitzt auf die Themen "Stadt und Öffentlichkeit", "Regionen und Landschaften", "Mobilität und Verkehr", "Demografie und Strukturwandel", "Technik und Ökologie", "Qualität und Kosten" sowie "Hauptstadt Berlin - Grosse Projekte".

Ein Begriff, viele Dimensionen

Die einzelnen Themen zeigen: Baukultur ist ein weiter Begriff. Entsprechend uneinheitlich ist seine Verwendung. In der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre haben sich vor allem vier unterschiedliche Ebenen herauskristallisiert.

  • Erstens: Baukultur ist ein Sammelbegriff. Baukultur umfasst Hochbauarchitektur, Landschafts- und Innenarchitektur, Stadt- und Raumplanung, Ingenieurbaukunst, Denkmalpflege usw. Baukultur steht für den Anspruch auf interdisziplinäre Zusammenarbeit.
  • Zweitens: Baukultur ist ein kulturhistorischer Begriff. Baukultur bezeichnet die physische Manifestation gesellschaftlicher Übereinkünfte.
  • Drittens: Baukultur ist ein Verfahrensbegriff. Baukultur meint nicht nur den gestalteten Lebensraum, sondern auch den Prozess seines Entstehens und seiner Pflege.
  • Viertens: Baukultur ist ein politischer Begriff. Er zielt auch darauf ab, in der Auseinandersetzung um knappe Ressourcen die Position von Architektur, Ingenieurbaukunst und Denkmalpflege zu eruieren.

Architektur treibende Kraft

Charakteristisch für den baukulturellen Diskurs in Österreich und Deutschland ist die hervorgehobene Rolle der Architektur. Treibende Kraft in Österreich ist die Plattform für Architekturpolitik und Baukultur, zu der sich 2002 die wesentlichen Architekturorganisationen zusammengeschlossen haben, um den Dialog zwischen Architekten und Planern einerseits und Politikern andererseits wieder in Gang zu bringen. Erster grosser Erfolg war die Durchführung einer parlamentarischen Enquete im März 2004 zum Thema "Architekturpolitik und Baukultur in Österreich". Anders als in Österreich startete die Initiative Architektur und Baukultur in Deutschland im Herbst 2000 gleich als gemeinsame Aktion von Politik und Bauschaffenden, konkret von Bundesbauministerium, Kulturstaatsministerium, Bundesarchitektenkammer, Bundesingenieurkammer und weiteren Partnern.
Grösster Erfolg war bisher die Errichtung einer Bundesstiftung Baukultur im Herbst 2007. Mit dem "Runden Tisch Baukultur Schweiz", der erstmals im März dieses Jahres stattfinden soll, knüpft der SIA nicht nur an die Erfolge im europäischen Ausland an, sondern auch an eigene baukulturelle Aktivitäten: ob das kürzlich eröffnete "Trottoir", zur Vermittlung von "Baukultur auf Augenhöhe", die Ausstellung "Umsicht", die von der SIA-Sektion Waadt 2006 erstmals durchgeführte Architekturwoche "15n" oder das neuste Projekt "BauKultur" der Sektion Zentralschweiz.

Claudia Schwalfenberg, Projektleitung "Runder Tisch Baukultur Schweiz"