21.03.2019 | tec21 | Kommunikation SIA

Wohnbaugenossenschaften neu denken

Das Netzwerk frau+sia und die Arbeitsgruppe Berner Architektinnen und Planerinnen (ABAP) haben am 27. Februar 2019 an eine Podiumsdiskussion in Bern geladen – ein Auftakt zum Jahresthema «Wohnbaugenossenschaften».

Text: Kalliopi Ousoun-Andreou, Regina Steiner, Christine Loward

Der Begriff der «Wohnbaugenossenschaften» (WBG) ist in aller Munde. In Gesprächen wird jedoch deutlich, dass nicht immer von ein und demselben gesprochen wird. Knapp 40 Frauen haben sich am 27. Februar 2019 in Bern zur Podiumsdiskussion «Wohnbaugenossenschaften» eingefunden. Die Veranstaltung wurde von der Arbeitsgruppe Berner Architektinnen und Planerinnen (ABAP) zusammen mit der Regionalgruppe Bern des Netzwerk frau+sia organisiert und durchgeführt. Sie bildete den Auftakt sowohl zu der Jahresreihe des „frau+chat“ wie auch der monatlich stattfindenden «ABAPéros» zum Jahresthema «Genossenschaften».

Nach einer kurzen Einführung durch Kalliopi Ousoun-Andreou, die den Vorstand ABAP repräsentierte, griff Christine Loward, Leiterin des Netzwerk frau+sia Bern, die wichtigsten Statements des Podiums auf und stellte die Podiumsteilnehmenden vor: Barbara Beyeler (Architektin HTL), Regina Steiner (Landschaftsarchitektin FH BSLA, Lares-Fachfrau) und Daniel Blumer (Geograf/Soziologe) diskutierten gemeinsam unter der Moderation von Paula Sansano (dipl. Architektin ETH SIA, Szenografin).

Ökologischer und sozialer Anreiz

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts florierten die Wohngenossenschaftsbauten. Im Fokus der Wohnbaugenossenschaften (WBG) standen die Verbesserung der Wohnhygiene sowie der bezahlbare Wohnraum für die Arbeiterschicht. Die in der Nachkriegszeit herrschende Wohnungsnot führte zu einer zweiten Blütezeit.

Wie ist das heute? Die WBG sind Spiegelbilder der demografischen Veränderungen – damals wie heute. In der Vergangenheit entstand eine Vielzahl von Reihenhäusern und grossen Blöcken mit Dreizimmerwohnungen. Die experimentierfreudigen Wohnungstypologien der heutigen WBG entsprechen der Ausnahme auf dem Wohnungsmarkt. Ein Ausloten zukünftiger Wohnungsformen wird jedoch immer wichtiger und kann als Orientierung für das zukünftige Wohnen fungieren. Ein heterogenes Angebot an Wohnungstypen schafft flexible Lösungen und eine gute soziale Diversität. Der grosse Anteil der Bewohner ist heute nach wie vor in der unteren Mittelschicht angesiedelt, doch immer mehr Menschen mit verschiedenen Lebensformen (Familien, Alleinerziehende, kinderlose Paare, junge Erwachsene oder ältere Leute) entscheiden sich für diese Wohnform – nebst aus finanziellen Gründen auch aus sozialen und ökologischen. WBG vermieten ihre Wohnungen zur Kostenmiete. Sie verrechnen den Bewohner was die Wohnung effektiv kostet. WBG sind nicht renditeorientiert und erzielen durch Beständigkeit langfristig günstigere Wohnungsmieten. Die genossenschaftlichen Wohnbauten waren früher städtebauliche Randerscheinungen, mittlerweile nehmen sie zentrale Lagen in der Stadt ein.

Die soziokulturelle Durchmischung und Vielfalt kann durch Belegungsvorschriften, aber auch durch ein Umdenken erzielt werden. Die Flexibilität ist nicht nur grundriss-technisch zu suchen, sondern auch im Wohnverständnis. Das Segment des gemeinnützigen Wohnungsbaus nimmt in der Schweiz lediglich vier Prozent ein. Das ist relativ wenig – und doch schafft es dieses Thema, unsere Gesellschaft zur Diskussion zu bewegen.

Neue Aspekte, neue Felder

Die ursprünglichen Ziele der WBG haben sich um neue Aspekte wie die der Ökologie erweitert. Der haushälterische Umgang mit dem Boden und das Prinzip des verdichteten Wohnens sind brandaktuell. Statistisch fällt der Wohnflächenverbrauch im gemeinnützigen Wohnbau geringer aus als im konventionellen Wohnbausektor. Die jungen WBG können von einem mehr als 100-jährigen Erfahrungsschatz der alten WBG lernen, und umgekehrt können diese sich von der Innovativität inspirieren lassen. Das kann in gemeinsamen Projekten münden.

Die alten Bausubstanzen werden in naher Zukunft saniert; hier eröffnen sich neue Möglichkeiten, die baulichen Strukturen zu überarbeiten und aufzulockern. Durch WBG-Gründungen und Sanierungen der alten WBG ergeben sich neue Arbeitsfelder. Darin mangelt es zurzeit noch an Fachpersonen, die die WBG durch diese komplexen, interdisziplinären Prozesse begleiten und zu Konsensfindungen verhelfen.

Des Weiteren ist zu überlegen, ob die öffentliche Hand das experimentelle, gemeinnützige Wohnen fördern sollte, um Erfahrungen zu sammeln, die in Bezug auf den zukünftigen demografischen Wandel neue Lösungen schafft. Dort ist das Investieren in Nachhaltigkeit, wie sie die Genossenschaften pflegen, sicher ein Ansatzpunkt.

ABAP wird im laufenden Vereinsjahr weiterhin Fragen zum Thema «Genossenschaften» nachgehen. Das Netzwerk frau+sia Bern widmet sich in den folgenden „frau+chat“-Anlässen den Themen der Vernetzung. Die nächste Veranstaltung findet am 17. Juni 2019 statt.

Kalliopi Ousoun-Andreou, Dipl.-Ing. Architektin RWTH SIA REG A, Vorstand ABAP, ousoun-andreou@palinpsao.com

Regina Steiner, Landschaftsarchitektin FH BSLA, Lares-Fachfrau,regina.steiner@landarchitektin.ch

Christine Loward, dipl. Architektin ETH / SIA, Leiterin Regionalgruppe Bern frau+sia,christine.loward@bluewin.ch