19.06.2018 | sia online | Frank Peter Jäger

Viele Fragen an den «Digitalen Zwilling»

Tagung mit regem Austausch zwischen BIM-Experten und Einsteigern. Für wenige ist das digitale Bauwerksmodell schon Alltag. Das Merkblatt SIA 2051 und die Dokumentationen dazu sind in der Branche gut angenommen.

Jeder kennt diese Phase, die es gibt bei der Einführung einer neuen Technologie oder Arbeitsmethode: Mit der neuen Technik dauert es länger, macht mehr Aufwand, man landet auf Irrwegen oder scheitert gar. An der Tagung zu BIM (Building Information Modeling) der SIA-Berufsgruppe Technik am 14. Juni 2018 war mehr als einmal die Rede von solchen Durstrecken und von Schnittstellen, an denen es hakt. Die BIM-Methode ist endgültig im Bewusstsein der Schweizer Planerinnen und Planer angekommen; doch vorderhand plant laut einer Studie der Vereinigung usic mit «deutlich unter 10 Prozent» erst eine kleine Minderheit mit der BIM-Methode. Die Berufsgruppe Technik hatte zur Fachtagung in den Haller-Pavillon der FHNW in Brugg-Windisch eingeladen und mit 300 Anmeldungen war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Die Spanne der Themen reichte vom Wettbewerb bis hin zur Übergabe ins Facility Management und dem Thema «BIM und Recht».

Vom Groben ins Feine
Stefan Birk, Partner des Büros Schnetzer Puskas Ingenieure gehört zu jenen, die schon tiefer eingestiegen sind. Ab Phase Ausschreibung bis zur Ausführung plante sein Büro das Tragwerk des Basler Wohn- und Geschäftsensemble «Bâleo Erlenmatt » mit der BIM-Methode. Schnell zeigte sich, dass die Ziele und der Modellplan möglichst früh mit dem Auftraggeber und den Fachplanern abzustimmen sind und der Detailierungsgrad des «Digitalen Zwillings», wie man das Bauwerksmodell auch nennt, am Anfang bewusst gering sein und erst zur Ausführungsplanung steigen sollte; die Planer sprechen in dem Fall von phasengerechten Informationen. «Zu grosse Detailtiefe in frühen Projektphasen überfrachtet das Modell und lenken den Blick vom Wesentlichen ab», resümiert Stefan Birk. Zudem sei bei späteren Änderungen der Aufwand erheblich, wenn ein Modell mit hoher Detailtiefe angepasst werden müsse. Birks Bilanz seiner ersten umfassenden BIM-Anwendung ist gemischt: Die Ausführung der Rohbauarbeiten mit BIM2field lief auf der Baustelle recht reibungslos; mit Tablets hatten die Bauleiter der Unternehmens Losinger Marazzi über ihren Firmenserver Zugriff auf das IFC-Tragwerksmodell und konnten so die Rohbaupläne jederzeit abrufen. Jedoch akzeptieren die Baumeister der ausführenden Firmen bis anhin nur Papierpläne, so dass nach wie vor ein vorgelagerter Freigabeprozess physischer Pläne im Planungsteam notwendig war. Das grosse Potenzial der Methode sieht Birk im Austausch und der Synchronisierung von Informationen unterschiedlicher Softwareprogramme.

Mühelose Kollisionsprüfung
Schon einen Schritt weiter ist dasTeam des Generalplaners Archipel. In Bern plante das Unternehmen den Neubau des Inselspitals von Beginn an mit der BIM-Methode. Bei der Komplexität eines modernen Spitalgebäudes kommen deren Möglichkeiten voll zum Tragen, konstatiert Projektleiter Zafer Bildir: «Durch die allzeit verfügbaren virtuellen Plattformen, die im Projekt genutzt werden, kann die Effizienz durch Zeitgewinn deutlich gesteigert werden». Mit dem Online-Datenmanagementsystem würden nicht nur Planstände kommuniziert, sondern auch Prozesse der Qualitätssicherung sowie der Modellfreigabe abgewickelt, berichtet er. Wie Stefan Birk betont Zafer Bildir die Kollisionsprüfung, also das Abgleichen von Raumansprüchen und Anforderungen der Fachplanungen im Gebäude als grosse Stärke der Arbeit mit BIM; sobald im Modell Kollisionen zwischen geplanten Leitungen oder anderen Bauteilen sichtbar würden, werden diese gesammelt und es ergeht der Auftrag an die jeweiligen Fachplaner, sie zu beseitigen.

Planfreigabe am digitalen Modell
Das führt zwar zu Pendenzenlisten, kostet aber in dieser Phase weit weniger Zeit und Geld als auf der Baustelle. Und man ahnt: Bei der Umsetzung komme es nicht nur auf das technische Hilfsmittel an, wirklich fruchtbar wird die Technologie durch die gemeinsame Arbeit der Fachplaner an dem im Zentrum stehenden 3D-Modell. Im sogenannten «Big Room» arbeiteten unter der Regie von Archipel bis zu zwei Dutzend unterschiedliche Planer unter einem Dach zusammen; konsequent angewendet führt BIM jenseits der EDV also auch zu einer ganz neuen Dimension der Zusammenarbeit.

Grosse Zeitersparnis
Prämisse und Leitfaden dieser Zusammenarbeit ist immer der BIM-Projektabwicklungsplan (BAP), der die Ziele und die Bedingungen zu ihrer Erreichung bestimmt. Abgesehen vom kontinuierlichen Dialog wird die Transparenz für alle Beteiligten maximiert: Wurde den Bauherren bisher am Ende einer Planungsphase 2D-Pläne zur Freigabe vorgelegt, haben diese nun regelmässig Planungsinhalte am digitalen Bauwerksmodell freizugeben. Die Prüfung während der laufenden Planung bringt grosse Zeitersparnis und Vorteile für beide Seiten: Die Bauherrschaft kann sich bei Fehlentwicklungen nicht mehr darauf zurückziehen, nicht informiert gewesen zu sein; die Planer erfahren sofort, wenn Änderungen nötig sind. Das Fazit von Zafer Bildir: «BIM fördert die partnerschaftliche Projektabwicklung mit dem Bauherren und das Verständnis der Planer untereinander deutlich.» Wenn man einmal all die Daten im Modell und der zugehörigen Datenbank zusammen getragen hat, liegt es nahe, sie auch nach Fertigstellung des Bauwerks zu nutzen. Tero Järvinenen aus Finnland ist Technology Director des Gebäudetechnik-Ingenieurunternehmens Granlund und sprach über das Thema BIM und Facility Management. Digitale Bauwerksmodelle werden in Finnland schon seit etwa 2005 für die Bauplanung genutzt. Trotz dieses erstaunlichen Vorsprungs erwies sich laut Järvinen der BIM-Einsatz im Facility-Management als hürdenreich, denn bevor ein Modell auch fürs Facility-Management tauge, müsse es mit spezifischen Informationen angereichert werden. Zudem sprächen «jene, die konstruieren, oft nicht die Sprache jener aus dem FM-Business und anders herum.» Dem Präsident der Berufsgruppe Technik, Marco Waldhauser, gelang es als Organisator der Tagung souverän, die unterschiedlichen Statements und Praxisberichte gedanklich zusammenzuführen und in seiner Anmoderation die Beiträge mit den jeweils passenden Auszügen des 2017 erschienenen Merkblatt SIA 2051 (BIM) sowie der zugehörigen Dokumentationen 0270 und 0271 zu verknüpfen. Diese Dokumente bewähren sich als Verständigungshilfe in der Praxis.

Keine pauschale BIM-Formel
Letzte Unsicherheiten bestehen hinsichtlich einiger rechtlicher Fragen sowie der Honorierung, da die zuletzt 2014 revidierten Leistungs- und Honorarordnungen (LHO) des SIA noch keine Aussagen zur BIM-Planung enthalten. Um bis zur nächsten Revision der Ordnungen eine Orientierung zu bieten, entwickelte die Arbeitsgruppe Koordination Digitalisierung mit der SIA 1001/11 eine «Zusatzvereinbarung BIM» sowie den Kommentar zu ihrer Anwendung. Diese Dokumente wurden am 7. Juni 2018 von der Zentralkommission für Ordnungen des SIA verabschiedet. Jedoch habe man keinen «BIM-Faktor» aus dem Hut gezaubert, betonte Urs von Arx, Mitglied der Kommission LHO 108. «Dafür ist die BIM-Methode zu anspruchsvoll und sind die BIM-Ziele zu vielfältig.» Auftraggeber und Planer müssten sich vielmehr im Klaren sein, welche Ziele sie mit der BIM-Methode verfolgen und daran anknüpfend die nötigen Leistungen vereinbaren, so von Arx. Bei deren Bewertung helfen der Vertragszusatz und der Kommentar. Im Wissen um die neuen Merkblätter konnte Rechtsanwalt Mario Marti hinsichtlich der juristischen Aspekte von BIM weitgehend Entwarnung geben. Sofern mit dem Standard Open BIM gearbeitet werde, sei die Methode vergaberechtlich unproblematisch. Auch vertragsrechtlich sehe er keine Risiken, wenn Bauherr und Auftragnehmer die oben beschrieben Ziele und seine Anwendungstiefe vorab festgesteckt hätten. Ein gewisser Klärungsbedarf sieht er hinsichtlich Elementen aus BIM-Libraries: Haftet hier der Planer für etwaige Fehler oder der Urheber der Elemente? Der prall mit Wissen gefüllte Tag warf zwar einige neue Fragen auf, doch in den intensiven Rückfragerunden blieb keine der Teilnehmerfragen unbeantwortet. BIM in der Praxis bedeutet: Einige Mehrarbeit in der Frühphase eines Projektes, dafür Effizienz und ein Mehrwert-Potenzial in den späten Planungsphasen, dessen Bandbreite sich den meisten erst andeutet. Die Schweizer Pionierphase von BIM jedenfalls geht gerade zu Ende.

 

Mehr Informationen zur Tagung

Marco Waldhauser