28.03.2022 | sia online | Laurène Kröpfli

Unser «Best-of» aus der Rechtsabteilung zum Sourcecode-Plagiat

Namen und Ortsangaben sind fiktiv, angelehnt an das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich LK100006-O/U vom 24. Januar 2013

Ingenieurin Sarah Clarke entwickelt und vertreibt mit ihrer GmbH «SC-Transformations» eine Software namens «FunStudies» für die Aufzeichnung, Bearbeitung und Verbreitung von Online-Vorlesungen. Die Entwicklungszeit des Programms betrug 30 Monate und das Programm umfasst 87'000 Codezeilen. Clà Clavadetscher, ein ehemaliger Arbeitnehmer der SC-Transformations GmbH, arbeitete an der Entwicklung einer Teil-Software für Videomanagement namens «izoomyou» mit. Clà ist Ende 2021 aus der «SC-Transformations GmbH» ausgeschieden und hat unmittelbar danach in Tinizong GR die «Tini-Ware da Clà GmbH» gegründet. Er hat sich auf die Entwicklung einer Video- und Bildungssoftware namens «igotyou» spezialisiert. Bereits wenige Monate später verzeichnet Clà mit seinem marktreifen Produkt einen Riesenerfolg.

Von diesem Triumph hat auch Sarah erfahren und sie ist überzeugt, dass Clà für die Entwicklung von «igotyou» den Sourcecode der Software «izoomyou» benutzt hat. Sie klagt gegen Clà und macht primär eine Verletzung ihrer Urheberrechte geltend. Clà wendet ein, bei den benutzten Codebestandteilen handle es sich um Hilfsfunktionen beziehungsweise Hilfsdateien, die auf die Funktionalität des Programms keinen Einfluss hätten und deshalb keinen urheberrechtlichen Schutz geniessen würden.

Gemäss Urheberrechtsgesetz gelten Computerprogramme als Werke, wenn sie geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter darstellen (Art. 2 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 URG). Wird die Individualität von einem Gericht bejaht, geniesst ein Werk Urheberrechtsschutz), wodurch der Urheberin beziehungsweise dem Urheber gewisse Abwehrrechte verleiht werden. Individuellen Charakter kann einem Programm bereits dann zugebilligt werden, wenn dieses aus Sicht von Fachleuten nicht als banal oder alltäglich bezeichnet werden kann.1 Die statistische Einmaligkeit und somit die Individualität grösserer, über eine längere Zeit entwickelter Programme ist evident, weshalb in solchen Fällen eher von einem urheberrechtlichen Schutz auszugehen ist.2

Der Urheberrechtsschutz bezieht sich bei einer Software insbesondere auf den Quellencode und den Objektcode des Programms.3 Wird der Schutz des Werks, also des Programms, vermutet, so trägt der Gegner, im vorliegenden Fall Clà, die Darlegungs- und Behauptungslast für seinen Einwand, das Programm sei ausnahmsweise nicht schutzfähig, weil es eine banale Programmierungsleistung darstelle oder lediglich das Programmschaffen eines anderen Programmierers übernommen worden sei.4 Gemäss Art. 2 Abs. 4 URG können auch Teile von Werken urheberrechtlich geschützt sein. Folglich können also auch Programmsequenzen für sich genommen schutzfähig sein.5

Im vorliegenden Fall kann in Bezug auf die Software «FunStudies» der «SC-Transformations GmbH» angesichts der Entwicklungszeit und des Programmumfangs eher von einem komplexen Programm ausgegangen werden. Damit gilt für die Software die Vermutung der Individualität. Die Vermutung der Schutzfähigkeit gilt auch hinsichtlich einzelner Softwarekomponenten, somit auch in Bezug auf die Software «izoomyou». Clà konnte vor Gericht nicht beweisen, dass es sich beim Sourcecode von «izoomyou» um eine Banalität handelt. Somit war er auch nicht berechtigt, den Quellencode als Vorlage für seine eigene Software «igotyou» zu benutzen.

Gemäss Art. 11 Abs. 1 URG verfügt die Urheberin oder der Urheber über das ausschliessliche Änderungs- und Bearbeitungsrecht. Im Weiteren hat die Urheberin oder der Urheber das ausschliessliche Recht, Kopien von Werkexemplaren herzustellen und solche anzubieten, zu veräussern oder zu vertreiben (Art. 10 Abs. 2 lit. a und b URG). Daraus folgt, dass das Gericht, auf Antrag von Sarah, Clà Clavadetscher unter Androhung der Bestrafung gemäss Art. 292 StGB (Busse) im Falle der Zuwiderhandlung verboten hat, den Sourcecode der «izoomyou»-Software zu kopieren oder zu bearbeiten. Zudem wurde der Tini-Ware da Clà GmbH unter Androhung der Bestrafung ihrer Organe gemäss Art. 292 StGB (Busse) im Falle der Zuwiderhandlung verboten, die Software «igotyou» zu vertreiben.

Hätte Sarah Schadenersatz beziehungsweise die Herausgabe des Gewinns für den unrechtmässigen Vertrieb der Software «igotyou» beantragt, hätten diese Rechtsbegehren ebenfalls geprüft werden müssen, wobei sowohl der Schaden als auch ein konkreter Gewinn zu beziffern wären.

Schliesslich wären eine arbeitsvertragliche Treuepflicht und der Tatbestand von Art. 2 UWG (Verstoss gegen Treu und Glauben, unlauteres Verhalten) zu prüfen. Wurde im Arbeitsvertrag eine Konkurrenzklausel vereinbart, müsste ihre Anwendung im konkreten Fall genauer analysiert werden.



Fussnoten:

1BBl 1989 III 523; Barrelet/Egloff, Das neue Urheberrecht, 3. Aufl., Bern 2008, N 25 zu Art. 2 URG.

2Straub, Softwareschutz, Zürich/St. Gallen 2011, N 567; Neff/von Arn, SIWR II/2, S. 328.

3Barrelet/Egloff, Das neue Urheberrecht, 3. Aufl., Bern 2008, N 24 zu Art. 2 URG.

4
Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., München 2010, N 19 zu § 69a dUrhG.

5
Straub, Softwareschutz, Zürich/St. Gallen 2011, N 86.