27.01.2019 | sia online | Kommunikation SIA

Schneelast und Lawinengefahr: Schnee? Schnee! Wann ist es zu viel?

Wie sind Menschen in Gebäuden vor Lawinen geschützt? Was hilft den Eigentümern zu entscheiden, ob sie das Dach räumen müssen?

Raumplanerische und bauliche Massnahmen halten das Schadenrisiko durch Schneeschäden an Gebäuden auf einem akzeptablen Niveau.

Schneereiche Winter werfen die Frage auf, wie Gebäude und damit der Mensch vor Naturgefahren, die durch Schnee entstehen, geschützt werden können. Dabei sollten vor allem die Schneelast auf Dächern und die Lawinengefahr ins Auge gefasst werden, um die Beschädigung von Gebäuden und die Gefährdung von Personen zu vermeiden.

Schutz vor Lawinen

Gefahrenkarten für Lawinen haben eine lange Tradition. Sie haben dazu beigetragen, dass heute sehr selten Personen in Gebäuden durch Lawinen ums Leben kommen. Durch die Raumplanung werden grundsätzlich keine neuen Gebäude in hoch gefährdeten Gebieten (sogenannte «rote Zonen») erstellt. In blauen Gebieten darf gebaut werden, jedoch müssen Schutzmassnahmen wie geeignete Anordnung von Nutzungen der Räume, Öffnungen und Zufahrten, verstärkte Aussenwände oder Lawinenkeile eine angemessene Sicherheit gewährleisten. Der Schutz am Gebäude ist nötig, da Lawinenverbauungen, Schutzwälder und Ablenkbauwerke teuer in der Erstellung und im Unterhalt sind.
Der lokale Lawinendienst warnt bei grosser Lawinengefahr, sodass Eigentümer und Nutzer sich frühzeitig aus der Gefahrenzone bringen können.

Neben den Lawinen, welche sehr ortsspezifisch sind, kann starker Schneefall jedes Dach betreffen.

Wann wird der Schnee auf dem Dach zu schwer?

Die Dachform bestimmt, ob Schnee auf dem Gebäude lastet oder abrutscht. Wenn er abrutschen kann, sollte er dort, wo er auftrifft, keine grösseren Schäden verursachen. Bei über 60° Dachneigung rutscht er ab, das ist aber auch schon ab 25° möglich – je nach Rauigkeit der Dachoberfläche sogar noch früher. Vordächer oder Vorbauten, Menschen, Autos sind zu schützen oder aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Hauseigentümer sind verantwortlich dafür, die Umgebung ihrer Liegenschaft vor abstürzendem Schnee und Eis zu schützen.
Falls erforderlich kann der Schnee auf dem Dach mit Schneefängern zurückgehalten werden (Norm 232/1 Geneigte Dächer). Allerdings müssen die Statik, wie auch die Einzelbauteile – beispielsweise Solaranlagen – die Schneemenge aushalten können.
Wenn es sehr viel schneit, sieht man oft, dass die Dächer vom Schnee befreit werden. Aber ab wie viel Schnee ist das nötig?

Sofern die tatsächlich vorhandene Dachschneelast die anzusetzende Dachschneelast gemäss der Norm SIA 261 nicht überschreitet und die Berechnung sowie die bauliche Umsetzung korrekt durchgeführt wurde, ist ein Einsturz eines Gebäudes unabhängig von der Dachform nicht zu erwarten.

Schneelast ermitteln

Die Schwierigkeit ist meistens: Der Hauseigentümer kennt die Schneelast, die bei der Planung tatsächlich berücksichtigt wurde, nicht. Und  er weiss nicht, wie gross die Schneelast auf dem Dach seines Hauses zu einem bestimmten Zeitpunkt ist.

Deshalb hilft man sich meistens wie folgt: Es wird gemessen oder erfragt, wie gross die aktuelle Schneelast ist. Dann wird diese Schneelast mit dem Wert der Norm SIA 261 verglichen. Je nach Baujahr sind die Werte, die als ausreichend erachtet wurden, anders (siehe unten).

Die Norm SIA 261:2014 Einwirkungen auf Tragwerke enthält Angaben dazu, wie viel Schnee ein Dach aushalten sollte: 0.9 kN/m2 sollte ein Gebäude im Mittelland aushalten. Diese Schneelast variiert je nach Höhenlage und Standort.

Auch die Dachform und die Windexposition (stark Faktor 0.8, geschützt Faktor 1.2) haben einen Einfluss. Ebenso, ob das Dach gedämmt ist oder Schnee durch die Wärme wegschmilzt.

Ein Beispiel: In Davos beträgt die Schneelast für die Planung eines Gebäudes nach Norm SIA 261 6.4 kN/m2 (auf dem Boden). Am 15. Januar 2019 wurde in Davos eine maximale Schneehöhe von 1.4 m gemessen. Zusätzlich wurde die mittlere Schneedichte zu 1.8 kN/m3 bestimmt. Die entsprechende Schneelast berechnet sich zu 2.5 kN/m2. Daraus lässt sich schliessen, dass im Moment ein Abtragen des Schnees nicht erforderlich ist.

Die mittlere Schneedichte kann mit einer Schneesonde ermittelt werden, mit der das Gewicht des Schneevolumens in der Sonde gemessen wird.

Heikel in diesem Januar waren Schneeüberhänge, die infolge des starken Windes entstanden sind. Um eine Gefährdung durch abbrechende Schneeüberhänge zu verhindern, sind diese abzutragen. 

Entwicklung der einzuplanenden Schneelast

Bei der Normierung der Schneelasten ist im Laufe der Zeit eine beachtliche Zunahme der Schneelast, die  bei der Planung berücksichtigt werden soll festzustellen (Fig. 1). Die erste schweizerische Norm mit Angaben über Schneelasten wurde 1892 veröffentlicht. Unter gewöhnlichen Bedingungen war eine Schneelast von 0.8 kN/m2 anzunehmen. Im Jahre 1935 wurde die zu berücksichtigende Schneelast in Abhängigkeit von der Höhenlage definiert. Mit zunehmender Anzahl von Messungen des Gewichtes der Schneedecke war es möglich, 1989 die Grösse der Schneelast für unterschiedliche Klimaregionen zu definieren. Seither war es nicht mehr erforderlich, die Berechnungsformel anzupassen. In der Norm SIA 160 von 1989 wurde ein Dachformbeiwert eingeführt. In den Normen von 2003 und 2014 wurde die Berechnung der Schneelast weiter verfeinert.
Die Dachschneelast ist oft die massgebende Einwirkung, die bei der Planung eines Daches zu berücksichtigen ist.  

Einplanen und dokumentieren

Eigentümer sollten wissen, ob sich ihr Gebäude in einer Gefahrenzone befindet. Zudem sollten sie das Schutzkonzept und die angenommenen Werte kennen, welche für die Planung ihres Gebäudes verwendet wurden. Dies ist die wichtigste Vorrausetzung, damit Eigentümer beurteilen können, wie sicher ihr Gebäude ist und ob sie weitere Massnahmen treffen müssen.

Die Beschreibung des Schutzkonzeptes und der Notmassnahmen in den Bauwerksakten sind hierzu sehr hilfreich.

Solaranlagen – Schneeschutz dank geprüfter Bauteile

Nicht nur das Dach als Ganzes muss den Schnee tragen, auch die einzelnen Bauteile müssen dazu geeignet sein. Wichtig ist, dass sie das Gewicht nicht nur selber tragen können, sondern auch, dass die Bauteile, auf denen sie befestigt sind, dies ebenfalls aushalten. So sind bei der Installation von Solarmodulen die Tragfähigkeit der unterliegenden Bauteile zu untersuchen. Zudem sind geprüfte thermische Sonnenkollektoren und PV-Module erhältlich, die besonders hohen Schneelasten standhalten. Der Einbau solcher Kollektoren ermöglicht eine langfristige und nachhaltige Energiegewinnung auch in alpinen Regionen.  Schnee führt infolge der reflektieren Sonnenstrahlung sogar zu einer erhöhten Energieproduktion, sofern die Module nicht eingeschneit sind. Das – schadenfreie – Abrutschen des Neuschnees muss daher bei der Planung einbezogen werden.

Klimawandel und Schneelast

Der Klimawandel führt in mittleren und tiefen Lagen zu durchschnittlich weniger Schneetagen. Ob dies zu einer geringeren Schneelast und zu einer geringeren Lawinengefährdung führt, ist zu diskutieren. Denn: Mit dem wärmeren Klima wird der Schnee nasser und damit schwerer. Darüber hinaus kann es immer wieder zu schneereichen Wintern kommen.

Schützenswerte gemeinschaftliche Praktik

Der Umgang mit der Lawinengefahr – das Zusammenspiel von Eigentümern bzw. Bauherren und Planern, Bauunternehmern, Versicherungen und Behörden bezüglich planerischer, baulicher und temporärer Massnahmen – wurde von der UNESCO Ende 2018 zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt. 

Weitere Informationen:

Dokumente:

  • Dokumentation SIA D 0260: Entwerfen & Planen mit Naturgefahren im Hochbau (erscheint im Februar)
  • Schneelast auf dem Dach: Norm SIA 261:2014 Einwirkungen auf Tragwerke
  • Schneerutsch vom Dach: Norm SIA 232/1:2011 Geneigte Dächer
  • Schneerutsch und Lawinen am Gebäude: Norm SIA 261/1:2003 Einwirkungen auf Tragwerke – ergänzende Festlegungen; überarbeitete Version erscheint 2020)
  • Lawinenverbauungen: Handbuch technischer Lawinenschutz (SIA 3040)

Links:

Stefan Margreth, Dipl. Bauing. ETH, WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF; Mitglied der SIA Kommission 261 und der Arbeitsgruppe SIA 261/1, margreth(at)slf.ch

Dörte Aller, Dipl. Met. SIA-Themenverantwortliche Naturgefahren, doerte.aller(at)sia.ch