05.01.2012 | sia online | Markus Gehri

Neue Bauproduktegesetzgebung

Nachdem die europäische Bauprodukterichtlinie (BPR) durch die rechtlich bindende Bauprodukteverordnung (BPV) abgelöst wurde, ist die Bauproduktekommission des Bundes intensiv daran, die Schweizer Bauproduktegesetzgebung den neuen Vorgaben anzupassen. Im Folgenden soll aus Sicht des Autors kurz erläutert werden, was sich ändert und inwiefern dies für die Planer Relevanz hat.

Das Schweizer Bauproduktegesetz (BauPG) trat Anfang 2001 in Kraft, zwölf Jahre nach der entsprechenden europäischen Bauprodukterichtlinie (BPR). Nachdem das BauPG (zusammen mit der Verordnung BauPVo und der interkantonalen Vereinbarung IVTH) als schweizerische «Bauproduktegesetzgebung» von der europäischen Union als gleichwertig zur BPR anerkannt wurde, konnten die Bauprodukte als 14. Kapitel ins Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) übernommen werden. Seither können Schwei-zer Zulassungsstellen für Hersteller Nachweise ausstellen, die europaweit anerkannt werden.

Die europäische BPR war Grundlage zur Erarbeitung zahlreicher europäischer Normen im Bauproduktebereich. Diese Normen legen die für das künftige Bauwerk wesentlichen Eigenschaften eines Produkts oder einer Produktgruppe fest und machen Aussagen über die Art und Weise, wie ein Hersteller diese Eigenschaften bestimmen, überprüfen und bestätigen lassen muss. 

Die Eignung eines Produktes für ein Bauwerk kann auch auf andere Weise nachgewiesen werden, zum Beispiel mittels einer technischen Zulassung. Dem Hersteller erlaubt ein solcher formeller Nachweis, sein Produkt im Bereich der EU europaweit auf den Markt zu bringen, ohne dass weitere nationale Nachweise verlangt werden dürfen. 

Für Bauprodukte, die in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit eine untergeordnete Rolle spielen, genügt eine Herstellererklärung. Laut dem aktuellen BauPG dürfen in der Schweiz zudem Produkte, die «gemäss Regeln der Technik» hergestellt werden, «weiterhin in Verkehr gebracht werden». 

Bisherige Situation
Mit der Einführung des BauPG hat sich am Schweizer Markt für Bauprodukte in den letzten Jahren wenig geändert. Die (wenigen) interessierten Prüf- und Zertifizierungsstellen dürfen nun Produkte zertifizieren und bemühen sich auch um entsprechende Mandate. Grössere Hersteller, die ihre Produkte EU-weit vertreiben wollen, haben sich schon längst durch ausländische Institute zertifizieren lassen, und die kleineren Hersteller werden im BauPG von der Pflicht zur Zertifizierung weitgehend ausgenommen. 

Da sich Planer und Ausführende in der Regel auf andere Art und Weise über die Qualität der verwendeten Produkte informieren, schenken sie dem mit der Zertifizierung verbundenen CE-Zeichen (das übrigens im BauPG nicht erwähnt ist) in der Regel wenig Beachtung. Den bis heute rund 500 europäischen Produktnormen (sowie den zugehörigen Prüf- und Verständigungsnormen) wird dementsprechend wenig Beachtung geschenkt und die entsprechenden Normen werden vom SIA ohne grosse Auswirkungen ins nationale Normenwerk übernommen.1 

Folgen der neuen europäischen Bauprodukteverordnung
Die Anfang 2011 erfolgte Ablösung der europäischen BPR durch die BPV bringt sowohl formelle wie auch inhaltliche Verschärfungen mit sich. Da eine europäische Verordnung – im Gegensatz zu einer Richtlinie – als zwingendes Recht für alle EU-Mitglieder gilt, ist die Verankerung in die jeweilige nationale Gesetzgebung nicht mehr erforderlich. Statt der vorherigen Freiwilligkeit der Anwendung der europäischen Produktenormen sind Hersteller nun verpflichtet, diese anzuwenden. Zwar können Hersteller nach wie vor auf Zulassungen ausweichen oder sich als Kleinunternehmer auf ergänzende technische Beschreibungen ihrer Produkte beschränken. Sie sind aber gezwungen, zu ihren Produkten eine Dokumentation zu erstellen, die darüber informiert, welche Normen dem Produkt zugrunde gelegt wurden. Mindestens eine der in den Normen aufgeführten Eigenschaften ist zu deklarieren. Diese Pflicht zur Dokumentation wird überdies explizit auf weitere Wirtschaftsteilnehmer wie Importeure, Händler und Repräsentanten des Herstellers aus-geweitet. 

Das für die Schweizer Baugesetzgebung zuständige Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) hat nun rasch eine Revision des BauPG in die Wege geleitet. Die mit dem BauPG ins Leben gerufene Bauproduktekommission (BauPK), in der auch der SIA Einsitz hat, hat seit Juni 2011 in vier zweitägigen Klausuren Vorschläge für eine Anpassung und Neuformulierung von Gesetz und Verordnung sowie für die Ausformulierung der zugehörigen Botschaften gemacht. Das ganze Paket soll 2012 in Ämterkonsultation und ab Juli 2012 in eine öffentliche Konsultation bei den betroffenen Verbänden gehen. Nach einer Behandlung im Parlament ist frühestens mit einer Inkraftsetzung auf Mitte 2013 zu rechnen. Nebst den umfangreichen Vorgaben aus Europa versuchten die Autoren, auch Elemente der schweizerischen Gesetzgeber (zum Beispiel des Produktesicherheitsgesetzes PSG) zu integrieren, um eine vernünftige Regulierungsdichte beibehalten zu können. In der Diskussion zum Entwurf des neuen BauPK war lange unklar, ob auch «weitere Wirtschaftsakteure» in die Pflicht genommen werden können. Betroffen gewesen wären auch die Planer als «Auslöser» einer Bestellung und die Unternehmer als «Verbraucher» der Bauprodukte. Der entsprechende Hinweis ist im aktuellen Entwurf aber nicht mehr vorgesehen. 

Die neu entstehende Schweizer Baugesetzgebung dürfte sich trotz allen Bemühungen als nicht allzu leichte Kost erweisen und noch verschiedentlich Anlass zu Diskussionen geben. Falls sie wider Erwarten vor dem eidgenössischen Parlament oder ausserparlamentarisch Schiffbruch erleidet, müsste das erwähnte Abkommen mit der EU bezüglich der Bauprodukte vermutlich gekündigt werden. Es würde dann wie zuvor das Cassis-de-Dijon-Prinzip gelten, das mit sich brächte, dass alle in Europa handelbaren Bauprodukte auch in der Schweiz zugelassen werden – ohne dass Schweizer Hersteller automatisch Gegenrecht verlangen können. 

Relevanz für Planer
Der Planer wird in der Schweizer Baugesetzgebung nicht ausdrücklich erwähnt. Grundsätzlich ist es aber der Planer, der die Spezifikationen der Bauprodukte vorgibt (vom Beton über die Fenster bis zu den Sanitärarmaturen) oder die Bauprodukte sogar selbst auswählt, allenfalls zusammen mit der Bauherrschaft. Das beginnt bei ersten Materialkonzepten in der Projektierung, geht über die Festlegung von Detailspezifikationen bei der Ausschreibung bis hin zur Abnahme und, insofern erforderlich, der Veranlassung von Schlussprüfungen. Allenfalls ist der Planer auch für die Nachführung der Bauwerksakten bis zur Übergabe verantwortlich. 

Zweck der Baugesetzgebung ist in erster Linie eine Marktöffnung, die mehr Wettbewerb ermöglichen soll. Leider fördert sie aber auch, dass Produkte künftig weniger über ihre physische Identität als über die sie begleitende Informationsflut – seien dies Spezifikationen, Prüfzeugnisse oder Zertifikate – repräsentiert und ausgewählt werden. Sich in dieser Informationsflut zurechtzufinden, wird eine neue Herausforderung für die Planer darstellen. 

Ungeachtet dessen, dass der Lieferant in der Pflicht steht und die Bauherrschaft schliesslich für ihr Bauwerk einstehen muss, obliegt es dem ausführenden Planer, Vermittler zwischen den abstrakten Ideen und der gebauten Realität zu sein. Damit steht er auch in der Pflicht, in vernünftigem Mass Informationen weiterzuvermitteln. Planer mögen zwar in absehbarer Zeit noch nicht von der Baugesetzgebung erfasst werden. Sie müssen sich aber mit den in den Normen beschriebenen Eigenschaften der Bauprodukte auseinandersetzen, sind es doch diese Eigenschaften, die der Gesetzgebung zugrunde gelegt werden. Eine leicht verständliche summarische Auflistung der betroffenen Bauprodukte und der in den zugehörigen Normen aufgeführten Eigenschaften fehlt leider noch. Nach Ansicht des Schreibenden könnte die Zentralstelle für Baurationalisierung CRB hier gefordert sein, ihre Kataloge entsprechend anzupassen. 

Schlussbeurteilung 
Aus Sicht des Autors ergeben sich drei Schlussfolgerungen und eine Strategie für die Normung in der Schweiz: 

  1. Die Kompetenz der Planer und der Unternehmer ist die bestmögliche Garantie für die optimale Wahl der richtigen Bauprodukte. Jede Abstützung nur auf Normen, jedes Eingehen auf ruinöse Preiskämpfe («die Norm wurde ja eingehalten») führt zu einer Beeinträchtigung der Baukultur. Nicht nur die Qualität der Bauwerke, auch die Zusammenarbeit der Beteiligten würde darunter leiden. 
  2. Mit zunehmender Komplexität des Bauens und der enormen Ausweitung des Bau-marktes im weitesten Sinne (Fliesen kommen aus Indien, Fliesenleger aus Polen) muss eine gewisse Ordnung etabliert werden. Die Bauproduktgesetzgebung kann diese Rolle teilweise übernehmen. Die Frage der Marktüberwachung ist allerdings noch ungeklärt und darf nicht zu einem zusätzlichen Aufwand der Beteiligten führen. 
  3. Die mit der Bauproduktgesetzgebung einhergehende Informationsflut ist symptomatisch für die heutige Virtualisierung des Bauprozesses. Im Rahmen des Building Information Modelling (BIM) sind erste Ideen im Entstehen, die festhalten wollen, welche Rolle der Planer im Umgang mit dieser zunehmenden Herausforderung übernehmen muss, kann und will. 

Im Bereich der Normung ist ein kooperatives Verhalten mit der EU für die Schweiz unverzichtbar. Vermehrt in der Produktnormung aktiv zu werden, ist aber nicht das Ziel des SIA. Doch ist es vorstellbar, im Bereich der in der Baugesetzgebung ebenfalls vorgesehenen Produkteinformationsstelle aktiv mitzuarbeiten.

Markus Gehri, Leiter SIA Normen und Ordnungen