10.02.2012 | tec21 | Sonja Lüthi

Lichtung im Labeldschungel

War in der Schweiz bisher Minergie als Energieeffizienzlabel für Bauten zentral, drängen nun zunehmend europäische und amerikanische Labels wie DGNB und LEED auf den Schweizer Markt. Ist dieser Labelsalat tatsächlich notwendig oder lediglich Indikator für einen konkurrenzumkämpften neuen Markt? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum der zweiten Swissbau Focus Arena am 18. Januar 2012 zum Thema «Wertsteigerung durch Gebäudelabels – nachhaltiges Bauen wird messbar». Dabei zeigte sich, dass unterschiedliche Labels durchaus ihre Berechtigung haben, es für einen nationalen Standard aber dennoch höchste Zeit ist.

Sanierungen im Nachteil
Eines vorweg: Spricht man heute von Labels meint man meist den Neubaubereich. Denn trotz der Vielzahl an verfügbaren Zertifikaten, sind die meisten davon für den Sanierungsbereich nur bedingt tauglich. Schuld daran sind nicht zuletzt die gewählten Kriterien. So ist der Aufwand an Planung und Kosten zur Erfüllung der Messgrössen bei energetischen Sanierungen am Ende enorm. Demgegenüber steht gleichzeitig aber meist nur ein kleiner Gewinn an Wohnqualität. Im Neubaubereich hingegen ist der finanzielle Mehraufwand zur Erfüllung eines Zertifikats laut Andreas Ammann, Immobilienschätzer bei Wüst & Partner AG, mittlerweile vernachlässigbar klein und Minergie-entsprechend schon nahezu Standard. So sind laut Franz Beyeler, Geschäftsleiter von Minergie, mittlerweile 25 000 Bauten Minergie-zertifiziert und rund 20 Bauten tragen das Zertifikat Minergie A. Holt man sich vor Augen, dass das Label Minergie erst seit 1998 besteht, kann dies als Siegeszug der Energieeffizienz zumindest im Neubau betrachtet werden und als wichtiger Beitrag zur Sensibilisierung, nicht zuletzt auch der öffentlichen Hand. Die Vorreiterrolle von Minergie streitet denn auch niemand ab. Weshalb also halten zusätzliche Labels zum nachhaltigen Bauen Einzug?

Gründe für die Labelvielfalt
Erstens: Minergie war schon immer ein Energieeffizienzlabel und kein Nachhaltigkeitslabel und ist es noch heute. Zwar decke das Label 80 % der Kriterien für nachhaltiges Bauen ab, so ist zumindest Beyeler überzeugt, doch seien die übrigen 20 % – zum Beispiel für den Rückbau und die Nutzungsphase – darin nicht enthalten. Rahel Gessler, Leiterin der Abteilung Energie und Nachhaltigkeit der Stadt Zürich, dagegen ist der Meinung, dass Minergie einerseits für Sanierungen, andererseits aber auch generell für innerstädtische Lagen zu starr sei. Dabei kritisierte Gessler insbesondere, dass der Aspekt der Mobilität in Abhängigkeit des Gebäudestandorts im Minergiezertifikat keine Berücksichtigung findet. Auch Alec von Graffenried, Direktor Nachhaltigkeit Losinger Construction AG und Nationalrat Grüne, gab zu bedenken, dass Minergie zwar im Eigenheimbereich zu Recht nach wie vor führend sei, wenn es aber um die Zertifizierung von Grossprojekten oder ganzen Quartieren gehe, an seine Grenzen stosse. Urs Rieder, Abteilungsleiter Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, hielt schliesslich fest, dass Bemessungsgrössen sich auf den State of the Art beziehen müssen, der in der Schweiz in erster Linie durch die Normen und die Merkblätter des SIA wie den Effizienzpfad Energie definiert sei. Seitens Investoren sind für die Wahl und die Anzahl der angestrebten Labels nicht zuletzt auch die Ansprüche potenzieller Käufer und Mieter entscheidend. Da internationale Firmen häufig angehalten seien, LEED-Flächen zu mieten, sei man beim Prime Tower bewusst eine Doppelstrategie gefahren, erklärte Roger Baumann, Head Business Development & Sustainability bei der Credit Suisse. So ist der «grüne Riese» nun sowohl Minergie- als auch LEED-zertifiziert und trägt zudem das CS-eigene Label greenproperty Gold.

Nationales Nachhaltigkeitszertifikat 
Auch wenn die anwesenden Vertreter der unterschiedlichen Labels bekräftigen, sie stünden in keinem Konkurrenzverhältnis: «Es braucht eine gewisse Konsolidierung», ist Markus Koschenz, Geschäftsleiter Reuss Engineerig AG, überzeugt. Als Vertreter der SIA-Energiekommission ist Koschenz Mitglied der Steuerungsgruppe «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz» des Bundesamtes für Energie. Ziel der Steuerungsgruppe ist es, die zahlreichen Einzelinitiativen zu bündeln und zu koordinieren, um einen umfassenden nationalen Nachhaltigkeitsstandard für Bauten zu entwickeln. Dabei geht es nicht um ein neues Label, sondern vielmehr um die Integration bestehender Labels in eine ganzheitliche Betrachtung, die zum Beispiel auch Aspekte wie die graue Energie oder die Mobilität berücksichtigt. Als wichtige Grundlage für die Erarbeitung des Standards nannte Koschenz die Empfehlung zum nachhaltigen Bauen SIA 112/1 aus dem Jahre 2004. Im Grunde hätte man schon damals mit der Erarbeitung eines nationalen Standards beginnen sollen, gab Koschenz zu bedenken, nun sei es höchste Zeit. Entsprechend ambitioniert ist der Terminplan: Laut Oliver Meile, Leiter Bereich Gebäudetechnologie beim BFE, soll das Projekt in etwa zur Jahreshälfte in Vernehmlassung gehen und schon Ende 2012 veröffentlicht werden. Wie die bestehenden Labels auch, wird der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz zunächst nicht verbindlich sein, doch soll er klare Ziele enthalten. Dass diese sowohl im Hinblick auf den Neubau als auch den Umbau formuliert werden und im Wesentlichen auf den Normen und Merkblättern des SIA basieren sollen, ist guter Grund zum Optimismus.

Sonja Lüthi, Redaktorin SIA



Swissbau Focus

Anlässlich der diesjährigen Swissbau, vom 17. bis 21. Januar 2012 in Basel, wurde in Ergänzung zum Ausstellungsbereich die neue Veranstaltungsplattform «Swissbau Focus» lanciert. Die mit insgesamt rund 5000 Gästen gut besuchten Vorträge, Workshops und Diskussionen wurden von den beiden Leading-Partnern SIA und EnergieSchweiz sowie weiteren führenden Branchenverbänden in Zusammenarbeit mit der Swissbau konzipiert. Herzstück der Veranstaltungsplattform bildeten vier Arenen nach Vorbild der SF-Arena zu den Themen Bildung, Gebäudelabels, Energie im Bau sowie Raumplanung. (Gesucht: «Praktiker»Verzögerte RaumplanungDeklarationspflicht für Bauten) Bei einer Sendezeit von rund einer Stunde und einer Teilnehmendenzahl von jeweils 16 führenden Akteuren aus Planung, Bauwirtschaft, Bildung und Politik bot die Arena in erster Linie eine ideale Plattform zur Kundgebung der jeweiligen Positionen zu brisanten und für den SIA entscheidenden Themen. Dabei zeigte sich, dass der Stand der Diskussion je nach Thema sehr unterschiedlich ist. Bis zur Swissbau 2014 sind alle eingeladen, die Diskussionen auf dem Swissbau-Focus-Blog fortzusetzen: www.blog.swissbau.ch Berichte, Interviews und Filme zu Swissbau Focus können auf der Website der Swissbau eingesehen werden: www.eventreport.swissbau.ch