09.05.2018 | sia online | Frank Peter Jäger

Google weiss, wo Du morgen hingehst

Am Istituto Internationale di Architettura in Lugano trafen sich nationale und internationale Experten, um kommende planerisch-politische Herausforderungen zu debattieren – über Disziplingrenzen hinweg.

«Wem gehört die Schweiz?» stand fett auf dem Titel der «Zeit»-Ausgabe Schweiz, die Caspar Schärer bei seiner Begrüssungsrede demonstrativ in die Luft hielt. «Ich störe nicht gerne unsere Harmonie, aber darüber sollten, müssen wir in den nächsten Tagen auch sprechen - und nicht nur über gelungene Planungsansätze und Perspektiven für die Räume der Schweiz» sagte der BSA-Generalsekretär am Eröffnungsabend der Biennale i2a in Lugano. «Im Nachdenken über die Gesellschaft, die Stadt und Landschaften von Morgen muss auch über das Eigentum, seine Verteilung und Nutzung gesprochen werden», mahnte Schärer. Ein solches Thema lautet etwa: «Wer kann sich das Leben in den Städten heute noch leisten, und was bedeutet das für deren Zukunft?» Die kühnsten Städtebauvisionen nützten wenig, wenn die politischen Randbedingungen nicht stimmten. So politisch-grundsätzlich, wie dieser Auftakt es erwarten liess, wurde es kurz vorm 200. Geburtstag von Karl Marx in der Luganeser Villa Saroli nur noch wenige Male. Der Bund Schweizer Architekten (BSA), der VLP-ASPAN (Schweizer Verband für Raumplanung) hatten gemeinsam mit dem SIA und weiteren Partnern in das Tessiner Architekturforum eingeladen, um an der Tagung über Disziplin- und Regionsgrenzen hinweg über die «Gesellschaft der Zukunft zwischen Urbanität und Natur» nachzudenken – mit besonderem Fokus auf Städten und Regionen der Schweiz. Der Ort, die reizvoll in einem Park gelegene Villa Saroli, war zweifellos ideal. Das mit Vorträgen, Diskussionspanels, einer Filmvorführung u.a. randvolle Programm sollte Planer und Architektinnen in Dialog zu bringen mit Planungspolitikern und Experten. Gastgeberin war, gemeinsam mit Caspar Schärer und Ariane Widmer Pham, die charmante, vor Energie sprudelnde BSA-Präsidentin Ludovica Molo.

Experimentell: Entwerfende Schwarmintelligenz
Starke Impulse setzten nicht zuletzt die Projektvorträge des an der Accademia in Mendrisio lehrenden Architekten und Städtebauers Frédéric Bonnet, sowie des Architekten Dieter Dietz von der EPFL in Lausanne. Dieser hatte in seinem inspirierenden Vortrag «Kleine Utopien und wie man sie umsetzt» u.a. das House One vorgestellt, ein als Veranstaltungsort und urbaner Treffpunkt dienendes, zerlegbares Gebäude aus vorgefertigten Holzbaumodulen; dieses mobile Stück statt bringt Menschen auf zweierlei Weise zusammen: An dem EDV-gestützten, experimentellen Entwurfsprozess nahmen, Lehrende und Assistenten eingeschlossen insgesamt 227 Personen teil, also eine Art entwerfender Schwarmintelligenz. Zugleich dient das fertige Gebäude als urbanes Forum. Spannend wurde es erneut am Nachmittag des zweiten Biennale-Tages, als u. a. die Soziologin Birgit Wehrli-Schindler, der Zürcher Architekt Stefan Kurath und der künftige SIA-Geschäftsführer Joris Van Wezemael über Stadträume und Öffentlichkeit in Zeiten von Facebook, Google, Tinder und lückenlosen Bewegungsprofilen diskutierten. Unterläuft oder deformiert die virtuelle Wirklichkeit das öffentliche Leben unserer Städte?

Wem gehören unsere Daten?
Oder sollte, um den Gedanken von Stefan Kurath und Joris Van Wezemael zu folgen, die politisch-partizipative Frage «Wem gehört die Stadt?» heute neu gestellt werden, in der Art: «Wem gehören unsere Daten?» Themen dieses zweiten Tages waren nicht zuletzt die fast lückenlos nachvollziehbaren – und nicht immer mit der Eigenwahrnehmung der Betroffene übereinstimmenden – Bewegungsprofile der Städter, eine zunehmend fragmentierten urbane Realität ebenso wie Wege zu akzeptierter Nachverdichtung. Mit Nachdruck formulierten der an der ETH Zürich lehrende Architekt Peter Swinnen ebenso wie Stefan Kurath vom Zürcher Institut für Urbane Landschaften ihren Anspruch einer politisch denkenden und agierenden Architektenschaft.

www.biennale.i2a.ch
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Fotos: Robin Bervini