«Freespace» – Biennale di Architettura 2018: Gebäude produzieren oder Orte für Menschen?
Eine Raumcollage schweiztypischer unmöblierter Wohninterieurs brachte dem Schweizer Pavillon den Goldenen Löwen. Die 18. Architekturbiennale «Freespace» appelliert an Planer und Architekten, ihre ethische und gestalterische Verantwortung ernst zu nehmen – mit wandelbaren Bauten und wirklichen Freiräumen – in Gebäuden und in den Städten.
Motto der von den irischen Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley Mc Namara kuratierten diesjährigen Architekturbiennale zu Venedig war der Freespace, Freie Räume also. Schon die Übertragung in die vielen Sprachen der Biennale-Teilnehmerländer gibt dem Doppelwort reichlich Interpretations-Raum. Den es aber nicht unbedingt braucht, denn Freiräume bewegen den jüngsten Städtebaudiskurs als Thema schon eine Weile. Am politischsten und direktesten zweifellos mit Fragen wie: «Wem gehört die Stadt? Wer kann es sich noch leisten in der Stadt zu wohnen?» Und auch: «Wie viele echte öffentliche Räume gibt es noch in unseren Städten?» Man kann sich dem Thema Freiraum politisch also so gut nähern wie gestalterisch – oder sozialen und gestalterischen Anspruch verbinden, was bei öffentlichen Räumen fast unvermeidlich ist. Es geht um soziale Segregation, Gentrification, um nur scheinbar öffentliche oder tatsächliche öffentliche Plätze. Auch sichtbare und unsichtbare Mauern und Grenzen waren in Venedig ein wiederkehrendes Thema, etwa im brasilianischen oder im deutschen Pavillon.
Selfies an der Riesentür In diese Themensetzung fügte sich bestens der Beitrag «svizzera 240», welcher der Schweiz den Goldenen Löwen dieser Biennale bescherte! Die vier Kuratoren des Pavillons setzten das Thema Freespace wortwörtlich um, indem sie das Gebäude in ein Labyrinth leerer, ineinander verschachtelten Neubauwohnung verwandelten, in welchem die Dimensionen aus den Fugen geraten scheinen. Zwar betritt man das Gebäude durch eine normal dimensionierte Raumfolge, gerät dann aber nach wenigen Schritten nach rechts in eine surreal überdimensionierte Wohnküchen; die dortige Tür mit ihrer Klinke auf knapp 2 Metern Höhe avanchierte schon am Eröffnungstag zum Lieblingsmotiv für Spass-Fotos der Besucher. Noch einmal Kind sein, und mit ausgestrecktem Arm gerade so an die Türklinke langen. Ein schmales, niedriges Türchen führt weiter in eine Wohnlandschaft in Zwergenproportionen, deren Küchenzeile kaum bis zur Hüfte reicht und die grosse Menschen nur noch geduckt passieren können. Ein Kontinuum bilden dagegen Parkett, weisse Gipskartonwände, Fussleisten und Einbauschränke – eine Collage jener unbelebten Raumwelten, die Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van de Ploeg und Ani Vihervaara bei der Vorbereitung ihres Beitrags immer wieder auf den Internetseiten Seiten von Schweizer Immobilienanbietern, aber auch Architekten fanden. «Durch diese Standardisierung verlieren die Architekten mehr und mehr an Autorenschaft», heisst es in einem Statement der Kuratoren.
Allerorten Bauprofile: Das Neue macht sich breit Und die absurden Masstabssprünge innerhalb der Wohnlandschaft korrespondieren in der wirklichen Schweiz mit einem durch hoch in den Himmel ragenden Bauprofile angekündigten städtebaulichen Massstabsprung: Weil anstelle der Wiese oder der abgebrochenen Vorgängerbauten fast immer ein viel höheres und voluminöseres Gebäude entsteht. Besser kann man die städtebaulichen Konsequenzen den aufgeheizten Schweizer Immobilienmarkt kaum versinnbildlichen. Die aktuelle Installation macht spürbar, woran es in der heutigen Architekturproduktion hapert – indem sie zeigt, was der freie Raum auch sein kann: ein zwar sorgfältig ausgeführter, aber beliebiger Raum. Und für die uniformen Neubauten müssen bestehende, charakteristischere Freiräume weichen (etwa einfache, aber günstige Wohnhäuser aus den 1930er oder 1950er Jahren). Womit man zu der Frage gelangt, ob wir noch mehr solcher Standardangebote benötigt oder eben Wohnungen, Häuser und Quartiere mit ganz anderen Qualitäten – die Raum bieten für die Diversität und Vielfalt heutiger Stadtgesellschaften.
Zweites Leben mit urbanem Mehrwert Wie so etwas aussehen kann, zeigte die auch visuell sehr fesselnde Präsentation im französischen Pavillon unter dem Titel «Grenzenlose Orte». Die Ausstellung stellt zehn Gebäude und Ensembles vor (davon fünf im Grossraum Paris), alte Fabrikgelände, ein ehemaliges Kloster und ein früheres Postamt, die für kulturelle und soziale Zwecke umgenutzt wurden und dadurch in ihrem zweiten Leben einen urbanen Mehrwert schaffen, der weit in die angrenzenden Quartiere ausstrahlt. «Wollen wir Gebäude schaffen oder Orte?» formulierten die Kurator/innen Nicola Delon, Julien Choppin und Sébastien Eymard ihr Leitfrage. Dieses Thema zog sich als roter Faden durch zahlreihe Präsentationen – Quartiere, Gebäude, Plätze, die nicht dem Markt, sondern der Gemeinschaft dienen. Ein mehr kreativer als politischer Freiraum des Entwerfers sind Phantasien und Raumvisionen. Nicht nur die Macher des japanischen Pavillons haben sich ganz der Bildmacht und den schier grenzenlosen Möglichkeiten von Zeichnungen verschrieben; in dem von der schwedischen Architektin Elisabeth Hatz gestalteten Saal des Zentralpavillons geschieht dies mit retrospektivem Blickwinkel, was ihn zu dem vielleicht schönsten Säle der Biennale macht. Die Architektin komponierte zahlreiche Architekturskizzen und Zeichnungen aus mehreren Jahrhunderte zu opulenten Bildensembles. Freiräume bedeuten bisweilen jedoch auch Fehlstellen, markieren Verluste. In einer Halle des Arsenale widmet sich eine ganze Halle mit einer Video-Projektion und Dokumentarfotos dem von Alison und Peter Smithson1972 errichteten brutalistischen Wohnensemble «Robin Hood Gardens» in London, dessen zweiter Block trotz breiter Protesten bald abgerissen wird, der erste wurde schon Anfang 2018 zerstört. Vor der Halle, gleich neben dem Hafenbecken des Arsenale steht eine vor dem Abbruch geborgene Aussentreppe nebst Etagenplattform, so dass die Besucher ein Stück des verlorenen Gebäudes noch begehen können. Gleich nebenan im Saal der Vereinigten Arabischen Emirate geht es um das Verschwinden der dortigen traditionellen Quartiere aus eingeschossigen Clusterhäuser, die lebendige Nachbarschaften bildeten, jetzt aber gläsernen Hochhäusern weichen oder von ihren Bewohnern einfach verlassen werden und verfallen.
Dreieckiges Spielfeld Einmal mehr gewährt die Biennale an mehr als 20 weiteren, über die Stadt verteilten Standorten manche Entdeckung – zum Beispiel der vom französischen Büros Architecture-Studio organisierten Ausstellung «Young Architects in Latin America» im Palazzo Mora (Cannaregio 3659). Aus mehr als 200 Einreichungen aus 18 Ländern selektierte eine Jury 60 Projekte. Berührend das Projekt von Gabriel Visconti und Marcos Coronel, die in einem am steilen Berghang emporwachsenden Slumquartier von Caracas (Venezuela) kleine Restflächen und Zwischenräume in Flächen für die Gemeinschaft verwandelt. Auf einem der Fotos ist das so geschaffene Spielfeld schon dicht von halbwüchsigen Jungen umlagert. Und weil die Architekten diesen Freiraum dem Hang nur mit Mühe abtrotzen konnten, hängt der eine Basketballkorb eben an der stumpfen Spitze eines langgestreckten Dreiecks. Für mehr Spielfeld war kein Platz, und die verwendeten Materialien waren sicher weniger hochwertig als in den gediegenen Wohnetagen, die «svizzera 240» so souverän auf ihr Kernprogramm reduziert. Aber in Caracas ist der Gewinn für die Menschen maximal. Der Rundgang durch Arsenale, Giardini und die dezentralen Ausstellungsspots hinterlässt den Eindruck einer runden Mischung aus thesenhaften, politischen Statements, Dokumentarischem wie auch konkreten Architekturpräsentationen, die in diesem Jahr erfreulicherweise nicht zu sehr in den Hintergrund geraten.
Info Biennale Architettura 2018 Täglich von 10-18 Uhr, Fr. u. Sa. bis 20 Uhr, bis 25.11. 2018. Eintritt 25 €. verschiedene Orte in Venedig. Weitere Infos: www.labiennale.org
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 Blick von der temporären Dachterrasse des britischen Pavillons  Innenhof des Schweizer Pavillons  Im französischen Pavillon  In dem von Elisabeth Hatz gestalteten Saal mit Zeichnungen im Zentralpavillon
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