15.12.2017 | sia online | Nandita B. Boger
Frauen an die Mauerkelle!
Die Wahrscheinlichkeit, einen jungen Menschen zu kennen, der vor der Berufswahl steht, ist relativ hoch. Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, ein Mädchen zu kennen, das sich für einen Beruf in der Baubranche entscheidet? Gegen null. Woran das liegt?
Warum entscheiden sich junge Frauen nicht für eine Lehre in einem Bauberuf? Weil sie kaum Vorbilder haben. Fast ausschliesslich Männer prägen die Berufskultur in der Baubranche. «Frauen tun sich grundsätzlich schwer mit von Männern für Männer gebauten Strukturen», konstatiert Clivia Koch Pohl, Präsidentin der Wirtschaftsfrauen Schweiz. Die Erwartung, dass eine Frau sich diesen Strukturen anpassen müsse, um im Beruf erfolgreich zu sein, ist weit verbreitet. Ruppige Umgangsformen auf der Baustelle sprechen die jungen Frauen nicht an. Die Vorstellung, diese annehmen zu müssen, um zu bestehen, noch weniger. Dabei besteht dieses rüde Verhalten der Männer nur unter sich. Der grösste Rüpel verwandelt sich sekundenschnell in einen galanten Gentleman, wenn eine Frau den Bau betritt. Diese Erfahrung kennen Bauleiterinnen aus erster Hand.
Wichtige «Zukunftstage» Ein weiterer Grund für das fehlende Interesse der jungen Frauen für technische Berufe können auch schlechte Unterrichtserfahrungen in der Schule sein.Wich Die Mädchen schätzen ihre eigenen Leistungen tiefer ein als Knaben. Sie glauben schnell einmal, im Bereich der Technik unbegabt zu sein. Deshalb müssen bereits die Lehrer in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern die Mädchen in ihren Fähigkeiten selbst davon überzeugt sind.
Hier kommen die «Zukunftstage» und «Technikschnuppertage » ins Spiel. Auch das Webportal der Berufsberatung (BIZ) legt Wert darauf, junge Frauen in untypischen Berufen zu fördern. Das Portal ermutigt junge Frauen, einen Beruf zu ergreifen, der ihren Neigungen entspricht auch jenseits der Rollenklischees.
Ist erst einmal der Einstieg geschafft, zeigt sich, dass Frauen auf dem Bau zwar in der Minderzahl sind, aber ihre männlichen Kollegen sie akzeptieren. «Hier im Betrieb sind meine Stärken gefragt, und ich lerne jeden Tag Neues dazu», erklärt eine Lernenden auf der Webseite des nationalen Zukunftstags. Eine Malerin EFZ berichtet: «Man wird zwar schon angeschnorrt, weil man eine Frau ist. Das sollte man aber mit Humor nehmen. Sich nicht alles zu Herzen nehmen. » Und eine Elektrikerin schreibt: «Gegenüber dem weichgespülten Gewäsch in einer Bank hat der eher raue Ton auf der Baustelle klar Vorteile: Man merkt sofort, woran man ist.»
Karriere dank Grundausbildung Zurück zu den eingangs erwähnten Strukturen: von Männern für Männer geschaffen. Körperliche Anstrengungen sind in der Baubranche üblich, beispielsweise erwartet ein Baubetrieb von einer Maurerin, dass sie einen Zementsack von 25 Kilo tragen kann. Und dazu muss Frau erst mal in der Lage sein. Diese Voraussetzung rückt im Lauf der Karriere jedoch in den Hintergrund. Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen stärken die jungen Frauen bei ihrer Ausbildung in der Baubranche. Das bildet eine gute Basis um eine Weiterbildung, sei es ein Studium an der Fachhochschule oder im kaufmännischen Bereich zu absolvieren, um leitende Funktionen in einem grösseren Betrieb zu übernehmen. Eine Karriere steht einer Frau mit einer Grundbildung in der Baubranche auf jeden Fall offen. Die Wirtschaft ist in allen Bereichen auf hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen. Ob Frau oder Mann spielt dabei keine Rolle. Denn viele Unternehmen haben erkannt, dass eine vielfältige Belegschaft positive Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg hat.
Kein Karriereknick Bleibt noch das Problem mit dem Karriereknick beim ersten Kind. Die Herausforderung, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, beschränkt sich nicht nur auf diese eine Branche. Zum Glück ist die Schweiz auf dem Weg, ein Land für unterschiedliche Familienmodelle zu werden. Das liegt nicht zuletzt am Druck des demografischen Wandels, der den Rückgang der Arbeitnehmenden im erwerbsfähigen Alter per 2020 prognostiziert und damit zunehmend wieder Frauen ins Zielfeld der Wirtschaft rückt.
Selbst in dörflichen Strukturen gibt es bereits vielerorts gut organisierte Tagesschulen, die Langfristigkeit und Verlässlichkeit garantieren. Viele grössere Betriebe setzen seit ein paar Jahren zunehmend auf Mitarbeitende mit Familie und werden infolgedessen immer familienfreundlicher. Natürlich ist es als Lehrerin oder Büroangestellte einfacher, ein Teilzeitpensum zu erhalten als in der Baubranche. Doch dies sollte nicht ausschlaggebend in der Berufswahl sein. Vielmehr steht die Befriedigung, einen Beruf ausüben zu können, der einen täglich fordert und inspiriert, an erster Stelle. Frauen, die in den männlich dominierten Bereichen arbeiten, können zudem diese Strukturen mitgestalten und für ihre besonderen Bedürfnisse, wie zum Beispiel Teilzeitarbeit, einstehen.
Frauen in der Baubranche nicht mehr ignorierbar Die Frage nach dem Anteil der Frauen in der Baubranche findet ihre Entsprechung im Anteil der Frauen in der Führungsebene. Sobald mehr Frauen an der Spitze arbeiten, werden sich Fragen zu Ungleichheit und Unterrepräsentation von selbst positiv verändern. Einen guten Anhaltspunkt über die Verteilung von Mann und Frau in der Architektur gibt der Pritzker-Preis. Auch als «Nobelpreis der Architektur» bezeichnet. Dieses Jahr erhielt das Dreierteam von RCR Arquitectes aus Spanien: eine Frau und zwei Männer, die Auszeichnung. Das kann kein Zufall sein, denn es ist nicht länger möglich, Frauen in der Baubranche zu ignorieren. Auch dann nicht, wenn zuvor in der 40-jährigen Geschichte des Preises die Architektinnen Zaha Hadid und Kazuyo Sejima als Preisträgerinnen die Ausnahme bildeten.
Frauen sind auf dem Weg, ihre Fähigkeiten zu nutzen. Sei es, um Menschen zu verbinden, um in Teams zu arbeiten oder sei es um Wissen und Sachverstand zu teilen. Dieses Kommunikationstalent wird zunehmend angewandt, und es entstehen interdisziplinäre Netzwerke, durch die sich Frauen in der Baubranche für das berufliche Fortkommen einsetzen – wie der Verein «Frau und SIA» vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein. Er wurde mit dem Ziel gegründet, den Frauenanteil in technischen Berufen zu erhöhen. Damit rücken auch Frauen aus der Baubranche ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Das wiederum wird die Mädchen bei der Berufswahl beeinflussen.
Nandita B. Boger, Architektin, Mitglied des Netzwerk «Frau + Sia», www.nanarchitektur.ch
|
|
 Saina Nicolet, Architektin, auf der Baustelle
|