10.05.2022 | sia online | Laurène Kröpfli

Beweisen will gelernt sein

«Juristenfutter» – so würde ein Laie vielleicht über das «Beweisen» sprechen. Ganz unwahr ist das nicht – ja, man könnte sogar sagen, auch aus juristischer Sicht sei dieser vielleicht etwas plumpen Aussage beizupflichten. Denn schon im Studium befasst sich Frau Studentin und Herr Student mit der äusserst komplexen und sehr wichtigen Thematik des Beweisens. Diese immense Bedeutung ergibt sich aus den Grundregeln des materiellen und des Prozessrechts: Welcher Beweisgrad ist zu erreichen? Wer trägt die Beweislast? Wer hat die Beweise zu beschaffen? Dies sind Fragen, mit denen sich die Studierenden fleissig beschäftigen.

Wer nicht beweist, verliert

Ist das Studium der Rechtswissenschaft erst einmal vorbei, wird die Thematik noch wichtiger. Rechtsvertreterinnen und -vertreter haben gestützt auf Art. 55 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) dem Gericht «die Tatsachen, auf die sie [die Parteien] ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben». Vereinfacht gesagt, bedeutet das: Wer nicht beweisen kann, was er geltend macht, hat verloren. Man spricht hier von den «Folgen der Beweislosigkeit». So will es der Umkehrschluss, der in Art. 8 des Zivilgesetzbuches (ZGB) definierten Regel über die Beweislast, wonach «derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen [hat], der aus ihr Rechte ableitet». Natürlich gibt es Ausnahmen, denn nicht alle Rechtsgebiete haben die gleichen Beweisregeln. Für Ansprüche aus einem Werk- beziehungsweise Auftragsvertrag (oder einem gemischten Vertrag im Sinne von SIA 1001-1) gilt grundsätzlich: Wer behauptet, der beweist.

Schauen wir uns hierfür ein Beispiel an:

Für den Neubau eines Einfamilienhauses inklusive Tiefgarage in Hallau SH ist Lothar Dudler, Architekt ETH/SIA, mit der Gesamtleistung beauftragt worden.

Bob Maurer und Lothar Dudler schlossen am 1. März 2021 einen Werkvertrag, der Bob mit der Erbringung von Baumeisterarbeiten am Neubau beauftragte. Dabei wurde die SIA-Norm 118 für anwendbar erklärt.

Die Bauarbeiten in Hallau wurden kurz darauf aufgenommen und bereits am 15. April 2021 erhielt Lothar von Bob ein Schreiben mit einer Zwischenrechnung. Bob begründete seine Forderung im Umfang von 162'000 Franken mit Mehrleistungen aufgrund von Nachträgen und Änderungswünschen (Position 1-3) seitens der Bauherrschaft. Weder Lothar noch die Bauherrschaft waren mit dieser Forderung einverstanden. Bob leitete eine Betreibung ein, die mittels Rechtsvorschlags beseitigt wurde. Nun sah sich Bob gezwungen, beim zuständigen Gericht eine Klage auf Anerkennung seiner Forderung einzureichen.

Was Bob beweist…

Um vor Gericht Erfolg zu haben, musste Bob seine Forderung begründen. Im vorliegenden Fall argumentierte Bob wie folgt:

Betreffend den Positionen 1-2 stellte sich Bob auf den Standpunkt, die Freigabe zur Ausführung der Positionen 1-2 seien von Lothar am 28. März 2021 erteilt worden, die Freigabe für die Position 3 erfolgte mündlich zu einem späteren Zeitpunkt. Hinsichtlich Positionen 1-2 wies Bob auf den Umstand hin, dass diese Positionen nicht bereits im Leistungsverzeichnis vorhanden gewesen seien, habe es sich doch um zusätzliche Arbeiten gehandelt. Für diese Positionen hätten sich die Parteien diesbezüglich mittels einer Vereinbarung geeinigt. In dieser Vereinbarung vom 28. März 2021 sei ein fixer Werkpreis vorgesehen gewesen, womit ein Ausmass nicht notwendig sei.

Die Hauptargumentation beziehungsweise die Beweismittel, die Bob vorbrachte, waren somit:

  1. die explizite schriftliche und mündliche Freigabe der Positionen 1-3 seitens der Bauherrschaft beziehungsweise ihres Vertreters, Lothar, sowie
  2. eine nach dem Werkvertrag abgeschlossene Vereinbarung vom 28. März 2021 betreffend zusätzlich zu leistende Arbeiten, die somit zu entschädigen wären, nämlich mit einem Pauschalpreis gemäss Parteieneinigung.

… und wieso das nicht reicht
Die Argumentation hatte vor Gericht keinen Erfolg. Denn der Werkvertrag, der zwischen beiden Parteien abgeschlossen wurde, hielt zum einen fest, dass eine Freigabe von zusätzlichen Arbeiten ganz explizit schriftlich zu erfolgen hätte. Somit hätte Bob beweisen müssen, dass Position 3 schriftlich freigegeben wurde. Eine mündliche Freigabe wäre gemäss Werkvertrag gar nicht gültig gewesen. Zum anderen stützt sich der Werkvertrag auf die SIA-Norm 118, wonach die Positionen 1-2 nach Art. 39 der SIA-Norm 118 abzurechnen wären, also nach Einheitspreisen. Für einen Vergütungsanspruch wäre ein Ausmass nach Art. 141 ff. SIA-118 erforderlich gewesen. Eine Vereinbarung vom 28. März 2021 betreffend einen Pauschalpreis konnte Bob allerdings nicht vorlegen. Denn das eingereichte Beweismittel «Vereinbarung vom 28. März 2021» stellte lediglich ein einseitiges Schreiben dar. Angesichts des unterschriebenen Werkvertrages vom 1. März 2021 durfte Bob die fehlende Reaktion von Lothar auf sein Schreiben beziehungsweise den Antrag auf Vertragsergänzung im Zusammenhang mit den Positionen 1-2, Zusatzarbeiten für einen Pauschalpreis, nicht als stillschweigende Genehmigung auslegen.

Für eine erfolgreiche Argumentation hätte Bob den bestehenden Werkvertrag «umstossen» müssen, indem er einen neuen, unterschriebenen Vertrag oder eine Vertragsergänzung mit Lothar eingereicht hätte. In diesem Dokument hätte erwähnt sein müssen, dass die Positionen 1-3 explizit (schriftlich) freigegeben werden und Positionen 1-2 mittels Pauschale entschädigt werden, entgegen der bereits festgelegten Vergütungsregel im Werkvertrag vom 1. März 2021. Bob konnte aber weder eine derartige zweiseitige, also unterschriebene, Vertragsergänzung noch ein Ausmass nachweisen, weshalb seine geltend gemachte Vergütungsforderung für die Positionen 1-3 durch das Gericht abgewiesen wurde.

Das fiktive Beispiel lehnt sich an folgende Fälle an :