29.01.2009 | neue zürcher zeitung nzz | Urs Steiner

Künstler ohne Museum

Der SIA lanciert die Idee eines Schweizerischen Museums für Ingenieurbaukunst

Es gibt nichts, wofür es in der Schweiz kein Museum gibt. – Nichts? Ausgerechnet jene Disziplin verfügt über kein Schaufenster, deren Errungenschaften zentral sind für die Marke «Schweiz»: Brücken, Tunnels und Hochbauten. Jetzt ergreift die Berufsgruppe Ingenieurbaukunst des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA die Initiative.
Urs Steiner

Es gibt in der Schweiz ein Indianermuseum, ein Froschmuseum, ein Sauriermuseum, ja sogar ein Henkermuseum. Für alle Spezialinteressen, und seien sie noch so abstrus, findet man eine entsprechende Institution. Einzig ein Museum für die Ingenieurbaukunst gibt es nicht. Das wollen die Berufsgruppe Ingenieurbau des in Zürich ansässigen Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) und die Gesellschaft für Ingenieurbaukunst nun ändern. Claudia Schwalfenberg, Geschäftsführerin der Berufsgruppe Ingenieurbau im SIA, hat ein Papier verfasst, mit dem sie den Anspruch auf ein Museum für die Ingenieurszunft begründet. Allerdings ist es bis zur Eröffnung einer solchen Institution noch ein weiter Weg. Denn weder die Trägerschaft noch der mögliche Standort sind bestimmt, geschweige denn das Geschäftsmodell oder die Finanzierung.

Dennoch ist die Idee eines Ingenieurmuseums bestechend. Denn die Mehrheit der kleinen und kleinsten Museen mit teilweise schrillen Inhalten vermittelt die Steckenpferde einiger Spezialisten. Ein Ingenieurmuseum hingegen, wie es Schwalfenberg vorschwebt, müsste publikumsorientiert sein; vergegenwärtigt man sich die verschiedenen Aspekte des Themas, darf grosses Interesse vorausgesetzt werden. Ein Museum über Brücken- und Tunnelbau, über technische Grundlagen der Architektur, über ökologische und ökonomische Aspekte des Bauens betrifft alle.

Die Schweizer Kulturlandschaft ist auf Schritt und Tritt geprägt von herausragenden Ingenieurleistungen – angefangen bei touristischen Preziosen wie dem Trassee für den Glacier-Express oder die Jungfraubahn. Auch das grösste Bauwerk der Schweiz, das Nationalstrassennetz, ist ein prägendes Werk helvetischer Ingenieurbaukunst, ebenso wie die Staumauern, Fussballstadien, Einkaufscenter, Hochhäuser, Flughafen-Terminals und künstlichen Flussläufe. Ingenieure wie Othmar Ammann, Robert Maillard oder Christian Menn haben weltweite Anerkennung gefunden, ebenso wie der Paradiesvogel Santiago Calatrava, der die Leistung des Ingenieurs expressiv inszeniert. Und wer kennt nicht die Betonschalen von Heinz Isler an der Autobahnraststätte Deitingen Süd? Der 1956 geborene Jürg Conzett, einer der profiliertesten Schweizer Bauingenieure der Gegenwart und Präsident der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, hält die Idee eines Museums bestechend. Er stellt sich vor, dass man weniger zeigen sollte, wie die einzelnen Strukturen funktionieren, als vielmehr auf die Verknüpfung mit anderen Disziplinen fokussieren. Dabei denkt er nicht nur an die Verbindungen zur Architektur, zum Städtebau und zum Design, sondern auch zu Tourismus oder Umweltwissenschaften. In einem Ingenieurmuseum könnte man auf brisante Zusammenhänge und Auseinandersetzungen hinweisen, glaubt er.

Die Initianten sind überzeugt, dass es exklusives Ausstellungsmaterial in Hülle und Fülle gibt – sowohl historische Exponate als auch Pläne, Modelle und Fotografien von neuen Bauten und Projekten. Das hätten punktuelle Ingenieurbau-Ausstellungen bewiesen, betonen Conzett und Schwalfenberg. Dennoch erscheint der Wunsch nach einem eigenen Museum reichlich utopisch: Abgesehen von der Frage nach dem Standort liegt auch eine mögliche Trägerschaft bis jetzt im Dunkeln. Ein Ingenieurmuseum lässt sich wohl nicht ohne die ETH und Fachhochschulen realisieren, aber auch die Initianten müssten wohl mehr als nur ideell tätig werden.

Als Modell schwebt Claudia Schwalfenberg das kleine, aber feine Fotomuseum Winterthur vor, das sich seit seiner Gründung vor 16 Jahren ein internationales Renommee erarbeitet hat. Das Fotomuseum wird, wie dessen Direktor Urs Stahel erklärt, «beinahe amerikanisch» geführt, das heisst: Es finanziert sich zu 75 Prozent selber. Ein Viertel des jährlichen Budgets in der Höhe von heute 2,8 Millionen Franken wird durch Einnahmen aus Tickets, dem Shop, den Katalogen und Liegenschaftserträgen erwirtschaftet, ein weiteres Viertel erbringt der Unterstützungsverein, und ein Viertel tragen die Sponsoren bei. Ausgangspunkt für dieses Modell war allerdings ein Gönner, der sich das Projekt gut 2 Millionen Franken kosten liess.

Damit sind die Leitplanken für das ehrgeizige Projekt gesetzt: Sollte das Museum Wirklichkeit werden, braucht es neben einem ansehnlichen Startkapital eine finanzkräftige Trägerschaft, politische Unterstützung an einem bestimmten Standort – also Subventionen – sowie eine engagierte Direktion und viel Glück.