22.03.2017 | sia online | Mike Siering

Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (SIA) verleiht die Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2017» an sechs umsichtig gestaltete Werke

Zum vierten Mal hat der SIA seine Auszeichnung «Umsicht-Regards-Sguardi» für die zukunftsfähige Gestaltung des Lebensraums vergeben. Sechs Projekte erhielten eine Auszeichnung, zwei weitere eine Anerkennung. Die prämierten Arbeiten überraschen.

Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) hat am Abend des 22. März 2017 im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich im Beisein von 400 Gästen aus Kultur, Bauwirtschaft und Politik, zum vierten Mal seine Auszeichnung «Umsicht –Regards – Sguardi» verliehen.

Der Idee des Preises entsprechend, vergab die Jury die Auszeichnung an Werke, die von interdisziplinären Planungsteams entwickelt wurden, die ökologisch und sozial nachhaltig und ganzheitlich gedacht sind. Gesucht waren also in jeder Hinsicht «umsichtige» Planungen, die in besonderer Weise zur zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraums Schweiz beitragen. Sechs der insgesamt 79 eingereichten Arbeiten wurden ausgezeichnet, zwei Werke erhielten eine Anerkennung.

Perspektiven der Landschaft

Vier der prämierten Arbeiten verbindet das Anliegen, die gewachsene Kulturlandschaft der Schweiz zukunftsorientiert weiterzuentwickeln: So erhielt die Revitalisierung des Flusses l’Aire bei Genf mit ihrem dezidiert architektonisch-landschaftsgärtnerischen Ansatz eine Auszeichnung. Aus dem Miteinander von Wasserbau, Biologie und Land-schaftsgestaltung entstehen eine differenzierte Landschaft und eine bemerkenswerte Synthese aus Natur und Artifiziellem. Ebenfalls ausgezeichnet hat die Jury die Erneuerung des Wasserkraftwerks Hagneck bei Biel, dessen Dreiklang aus moderner Kraftwerktechnik, sensibler Architektur und landschaftlichen Einbettung gemäss Jury «ein wegweisendes Beispiel für die in den nächsten Jahren in grosser Zahl zu erwartenden Erneuerungen von Kraftwerken» darstellt. Das vielleicht unkonventionellste Landschaftswerk unter den Preisträgern sind die «Ricomposizioni» in Sceru und Giumello im Malvagliatal. Die zwei Alpweiler auf 2000 Metern Höhe, im Nordosten des Kantons Tessin sind seit langem verlassen. Vor einigen Jahren begann Martino Pedrozzi, ein Architekt aus Mendrisio, zunächst alleine, später unterstützt von Helfern, die Steine der umliegenden verfallenen Gebäude innerhalb der noch bestehenden Fragmente zu einem Plateau aufzuschichten, das den ursprünglichen Perimeter des Gebäudes abbildet; obschon das Projekt keine Aspekte technischer und gesellschaftlicher Innovation aufweist, sah die Jury in dem Land-Art-Projekt eine «Referenz an vergangene alpine Nutzungen und eine räumli-che Neuinterpretation der vorgefundenen Artefakte», die sie für die sie eine Anerkennung aussprach.

Der vierte Preisträger liegt im Dorf Valendas im Kanton Graubünden; das dortige, seit Jahren leerstehende alte Schulhaus wurde zum Besucherzentrum des Naturparks Beverin umgebaut. Für das Dorf stellt es zugleich den Schlussstein erfolgreicher Dorferneuerung dar – als Teil einer Initiative, die der Entvölkerung der Berggebiete mit konkreten Projekten entgegentritt, ist die neue Nutzung des Schulhauses zugleich «Zeugin für eine engagierte, zukunftsgläubige Bevölkerung ausserhalb der Ballungszentren» wie es im Urteil der Jury heisst.

Solidarität und Inklusion

In einem dieser Ballungszentren, nämlich in der Agglomeration Zürich, befinden sich die anderen vier ausgezeichneten Projekte. Wie Genf und Basel ist auch Zürich städtebaulich bestimmt durch ökonomischen und demographischen Wachstumsdruck, den es aktiv zu gestalten gilt. Ein Dauerthema ist dabei die Aufgabe, bezahlbaren und würdigen Wohnraum für Geringverdiener und sozial Benachteiligte zu schaffen.

Mit der Wohnsiedlung «Zwicky Süd» stellte die Genossenschaft «Kraftwerk1» auf dem 24 Hektar grossen Gelände der ehemaligen Spinnerei Zwicky am Ufer der Glatt in Dübendorf ZH unter Beweis, dass neben der Energieeffizienz und dem partizipativen Planungsansatz noch mehr möglich ist: Inklusion und Solidarität – über Nationen, Lebensformen und soziale Schichten hinweg. Rund 300 Personen aus über zwölf Ländern wohnen derzeit in der Siedlung; darunter auch solche, deren Miete aus einem Solidaritätsfond mitfinanziert wird. Aber auch Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen, die hier betreute Wohnformen finden, sowie fünf Flüchtlingsfamilien.

Vom Vorortbahnhof zum regionalen Drehkreuz

Eine stark wachsende Metropolregion bringt zwangsläufig verkehrliche Herausforderungen mit sich. Als technisch und logistisch aufwändiges Verkehrsprojekt wurde der Ausbau des Bahnhof Zürich-Oerlikon weit über die Grenzen der Limmatstadt bekannt – vor allem nach der spektakuläre Verschiebung eines 123 Jahre alten, denkmalgeschützten Industriebaus, der der verbreiterten Bahntrasse im Weg stand. Die Umsicht-Jury verlieh dem eng mit dem Bau der Zürcher Durchmesserlinie verbundenen Projekt als «herausragende Gesamtlösung» eine Aus-zeichnung, weil es den beteiligten Planern gelang, trotz einer Vielzahl von Bauherrschaften, dem Bauen unter Betrieb und der mehrfachen Vergrösserung des Projektierungsperimeters eine einheitliche gestalterische Handschrift über alle Bauwerke umzusetzen. Im Ergebnis dieser mehrjährigen logistischen Meisterleistung entstand nicht nur ein funktionierender Verkehrsknoten, sondern ein Bahnhof, der die planerischen Anliegen von Stadt Zürich und SBB bündelt; er ist zugleich Verkehrsbauwerk und lebendiger Stadtraum und strahlt dadurch stimulierend in die angren-zenden Quartiere aus, als neues Tor von Oerlikon.

Neue Wege effizienter Energienutzung

Ebenfalls einen Preis erhielt das im Mai 2016 auf dem Gelände der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in Dübendorf eingeweihte NEST. Am NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) erproben Wissenschaftler die Gebäudetechnologie und die Gebäudehülle der Zukunft. Hinsichtlich der Innovati-onsleistung schwingt das NEST obenaus. Es ist weniger ein konventionelles Gebäude als eine gebaute Trag- und Versorgungsstruktur mit wechselnden «Inhalten». Neue Technologien können hier realitätsnah im 1:1-Modell und unter Nutzung getestet werden.

Die zweite Anerkennung schliesslich ging an das Gebäudesystem «BS2 Zeleganz». Das von Professor Hansjürg Leibundgut an der ETH Zürich in zwölf Jahren interdisziplinärer Forschungsarbeit entwickelte «Zeleganz»-Systems (Zero Emission Low Ex ganzheitlich) bewirtschaftet die saisonal variierende Solarenergie clever. Es setzt auf kluge Steuerung und effektive Speichermedien statt auf maximale Dämmung und Energieeffizienz. Die Jury erkannte in dem System einen wertvollen Baustein zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 des Bundes.

Alle prämierten Arbeiten geben auf ihre Weise eine exemplarische und kreative Antwort auf aktuelle, unseren Lebensraum betreffende Fragen – stets mit einem ganzheitlichen Ansatz. Alle Projekte gehen vorbildlich mit der heutigen Komplexität des Planen und Bauens um.

Nach ihrer Präsentation im Landesmuseum wird die Umsicht-Ausstellung vom 27. bis 30. März 2017 im Stadtmodellraum der Stadt Zürich, Amtshaus IV, Lindenhofstrasse 19 zu sehen sein, bevor sie in verschiedenen Regionen der Schweiz sowie im benachbarten Ausland gezeigt wird.

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