09.01.2013 | sia online | Interview mit Beat Flach

«Die Schweiz als Stadt denken»

Nationalrat Beat Flach zur Revision des Raumplanungsgesetzes

Am 3. März 2013 stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Revision des Raumplanungsgesetzes ab. Im Interview erklärt Jurist und Nationalrat Beat Flach, wie die Revision hilft, den «Kantönligeist» zu überwinden, weshalb sie auch Eigentümern zugute kommt – und warum man trotz allem von Raumplanung keine Wunder erwarten darf.

Sonja Lüthi: «Raumplanung steht im Gegensatz zum Föderalismus, im Gegensatz zur Gemeindeautonomie, im Gegensatz zum Privateigentum – Raumplanung ist eine sehr unschweizerische Sache», so Thomas Held anlässlich der Eröffnung der Wanderausstellung Darum Raumplanung in Bern. Herr Flach, was ist Ihre Meinung dazu?

Beat Flach: Einerseits hat Herr Held natürlich Recht: Der Raumplanung haftet etwas sehr Unschweizerisches an, da sie sich gegen den helvetischen Freiheitsgedanken richtet. Andererseits haben das Geordnete und das Streben nach Gerechtigkeit, die der Raumplanung ebenfalls innewohnen, etwas sehr Schweizerisches. Ich würde daher eher sagen: Raumplanung richtet sich gegen Einzelinteressen und stellt das gemeinschaftliche Interesse in den Vordergrund. Das ist im Grunde nichts Unschweizerisches, aber in der Umsetzung eben auch die grosse Herausforderung.

Welches Urteil stellen Sie der bisherigen Schweizer Raumplanung aus?

Das kommt ganz auf den Fokus an. Die Stadtplanung hat in den letzten Jahren meiner Ansicht nach ein sehr hohes Niveau erreicht. Der Grossteil der Probleme entsteht aber nicht in der Stadt, wo man Freiräume, Verkehr, Wohnen und Arbeiten sozusagen mit dem grossen Wurf planen kann, sondern am Speckgürtel in den Agglomerationen und auf dem Land, wo die Raumentwicklung grösstenteils über die Verkehrsführung gesteuert wird. Und hier wurden viele Sünden begangen. Angefangen bei der Idee des dezentralen Zentralismus, wo ungeachtet dessen, ob das sinnvoll ist oder nicht, fast jeder Kantonshauptort mit einem Autobahnanschluss versorgt wurde. Sämtliche Auswirkungen davon hat man nie in den Griff bekommen.

Neben der Verkehrsplanung wird als eigentliches Steuerungsmittel der Raumentwicklung oft der Steuerfuss genannt bzw. als eines der Übel die Gemeindeautonomie. Welche Steuerungsmittel hält die geplante Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) dem entgegen?

Bezogen auf die Gemeindeautonomie markiert das neue RPG keine Zäsur, und wahrscheinlich braucht es diesen Mix auch. Es ist einfach so, dass viele Gemeinden in den vergangenen Jahren glaubten, dass sie mit der Schaffung von Einfamilienhaus-Zonen auch ein gutes Steuersubstrat generieren würden. Bei vielen Mittellandgemeinden ist diese Rechnung aber nicht aufgegangen. Die Leute sind gekommen, hatten aber aufgrund der hohen Hypotheken kein Geld. Da diese Einfamilienhauszonen oftmals ausserhalb des Dorfs liegen, sind diese Leute meist mit dem Auto unterwegs, gehen nicht im Dorf einkaufen etc., mit als Folge der Entleerung des inneren Dorfkerns.
Mit der Revision RPG wird insbesondere das Denken und Handeln über die politischen Grenzen hinaus gefördert und gefestigt. Das Mittel dazu ist die Stärkung des kantonalen Richtplans – der übrigens international wohl eines der besten raumplanerischen Instrumente ist. Die Kantone werden verpflichtet, über den Richtplan deutlich zum Ausdruck zu bringen, welche räumliche Entwicklung angestrebt wird – insbesondere im Hinblick auf eine Siedlungsentwicklung nach innen, die den Kern dieser Revision ausmacht. Zudem besteht die Pflicht zu prüfen, wie viel Baulandreserven nötig sind, um den Bedarf der kommenden fünfzehn Jahre zu decken – und zwar nicht jeder für sich selbst, sondern innerhalb einer Region.

Die Abstimmung der Bauzonen auf den voraussichtlichen Bedarf der nächsten fünfzehn Jahre ist bereits im aktuellen RPG enthalten. Überhaupt hört man unter Raumplanern oft, dass das RPG im Grunde ein gutes Gesetz ist, aber dass es im Vollzug gescheitert ist. Wieso wird die Revision RPG im Vollzug nicht scheitern?

Auch die Revision RPG wird sich natürlich an der Umsetzung messen müssen. Doch bringt sie insofern eine Verschärfung, als dass viel strikter festgelegt wird, wie man diese erstmals festgeschriebene «Siedlungsentwicklung nach innen» erreichen will. Die Instrumente dazu sind: Die gesetzliche Verankerung einer Mehrwertabschöpfung von mindestens 20% bei Neueinzonungen, wodurch das übermässige Einzonen gebremst werden sollen. Die Verpflichtung, überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren – wovon insbesondere Flächen ausserhalb des Siedlungsgebietes betroffen sind, deren Bebauung in den nächsten fünfzehn Jahren unter keinen Umständen sinnvoll ist. Und schliesslich können die Kantone mit dem neuen RPG eine Bebauungspflicht einfordern, was natürlich dazu führen soll, dass das Bauland, das vorhanden ist, auch genutzt wird.
Im Gegensatz zu dem, was einige Kritiker der Revision unterschieben, wird mit dem neuen RPG Bauland nicht künstlich verknappt, sondern im Gegenteil: Dort, wo Bauland im Siedlungsgebiet liegt, soll auch gebaut werden. Wir wollen das Bauen ja nicht verhindern, sondern verhindern, dass Bauland gehortet wird, oder auf der «grünen Wiese» gebaut wird. Der Entstehung eines gleichförmigen Siedlungsbreis von Genf bis St. Margreten schieben wir mit der Revision RPG einen Riegel vor.

Neben der von Ihnen erwähnten Kritik einer «künstlichen Verknappung von Bauland» wird die Bebauungspflicht von Gewerbeverband und Co., als «bodenrechtlich fragwürdig und eigentumsfeindlich» beurteilt.

Erstens: Die Bebauungspflicht betrifft ausschliesslich Neueinzonungen. damit sagt der Gesetzgeber: Wir zonen an sinnvoller Lage ein, möchten dann aber auch, dass dort gebaut wird. Das ist überhaupt nicht eigentümerfeindlich, sondern im Gegenteil auch für die Eigentümer ein Gewinn: Wird nämlich dort, wo gebaut werden soll, tatsächlich gebaut, so wird die Infrastruktur optimal genutzt. Es ist an und für sich eine Optimierung des Systems, von der also auch die Eigentümer profitieren.
Hinzu kommt eine weiter Facette: Durch die Bebauungspflicht wird klar zwischen Bauland und Nicht-Bauland unterschieden. Derzeit besteht ja die verrückte Situation, dass Landeigentümer, landwirtschaftlich genutztes Land einzonen können und weiterhin Subventionen beziehen, um das Land zu bewirtschaften. Mit der Gesetzesrevision soll dies künftig verhindert werden. Fruchtfolgeflächen sind Fruchtfolgeflächen und nicht verkapptes Bauland als Kapitalanlage. Deshalb stehen ja auch sehr viele Bauern der Revision RPG positiv gegenüber.

Wie realistisch sind Rückzonungen von Bauland an abgelegener Lage? Die 20% aus dem neuen Topf der Mehrwertabschöpfungen dürften dafür kaum ausreichen.

Die erste amtliche Bauzonenstatistik der Schweiz (ARE, 2007) hat gezeigt, dass die Baulandreserven einerseits stark überdimensioniert sind und bezogen auf Nachfrage und Infrastruktur vielfach am falschen Ort liegen. Zu meinen, man könne im Nachhinein in diesem Fall mit einem neuen Gesetz alles zur Befriedigung lösen, ist ein Trugschluss. Was man aber verhindern kann, ist dass bis 2030 zusätzliche 13'000 ha unkoordiniert eingezont werden.
Gleichzeitig darf man auch nicht vergessen, dass nicht alles Geld von Mehrwertabschöpfungen kommen muss. Ist etwas im öffentlichen Interesse einer Gemeinde, stehen dafür nach wie vor Steuergelder zur Verfügung.

Was waren aus juristischer Sicht die grössten Herausforderungen bei der Erarbeitung der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG)?

Eine grosse Herausforderung der Raumplanung generell ist ihre Langfristigkeit. Nehmen wir beispielsweise zum Vergleich das Strassengesetz: Ich kann eine Geschwindigkeitstafel aufstellen und ab dem Moment gilt Tempo 30 und ich kann das auch gleich messen. Im Raumplanungsgesetz setze ich einen Richtplan und habe einen Zeithorizont von zehn, fünfzehn Jahren. Ob das, was beabsichtigt war, wirklich eingetroffen ist, kann ich erst dann messen. Das ist eine grosse Schwierigkeit im Legiferieren von Raumplanung. Kommt hinzu, dass das den Leuten zu langsam ist. Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Zweitwohnungsinitiative angenommen worden ist, obschon die bereits am 1. Juli 2011 erfolgte Teilrevision des RPG die nötigen Instrumente zur Verfügung stellt, um den Zweitwohnungsbau zu beschränken. Die Umsetzung der Initiative in ein Gesetz bereitet nun grosse Schwierigkeiten, weil die darin enthaltene strikte Quotenregelung mit den Mitteln der Raumplanung kollidiert, nämlich: Grenzen setzen, aber unter Rücksichtsnahme der regionalen Besonderheiten.

Was für Konsequenzen hat die Revision RPG Ihrer Ansicht nach für die Arbeit der Planer?

Ich bin davon überzeugt, dass mit dem neuen RPG eine spannende und herausfordernde Zeit für Planer anbricht. Denn mit der Gesetzesrevision beginnt man endlich damit, die Schweiz als Einheit zu denken, als «Stadt» zu denken. Dieser Ausbruch aus dem «Kantönlidenken» ist wesentlich. Denn in den letzten fünfzig Jahren haben wir über das ganze Land hinweg eine umfassende Infrastruktur gelegt – Verkehr, Versorgung, Energie, Wohnen, Sport, Gesundheit etc. –, die an anderen Orten der Welt nur in Megacities vorhanden ist. Entsprechend sollten wir damit beginnen, uns weniger als Teil eines Dorfs zu fühlen, denn als Teil eines Quartiers in der Stadt Schweiz. Statt dem Hyde Park haben wir Alpenparks. Das gibt es nirgends sonst auf der Welt!
Aber nicht nur Raum- und Stadtplaner, auch Architekten und Ingenieure sind gefordert: Wie fülle ich beispielsweise die zurzeit sehr vielen Lücken in entleerten Dorfkernen, ohne dass ich diese Orte zerbaue, sondern im Gegenteil einen Mehrwert generiere?

Was wünsche Sie sich für die Zukunft der Stadt Schweiz?

Ich wünsche mir, dass wir es fertig bringen, unsere menschlichen Bedürfnisse so zu gestalten, dass wir für die zukünftigen Generationen ihre Entscheidungsfreiheit belassen. Während zum Beispiel den meisten bewusst ist, dass ein Kernkraftwerk sich nur schwer rückbauen lässt, dürfte den wenigsten bewusst sein, dass man eine einmal gebaute Strasse ebenfalls kaum mehr weg bringt.

1) Von 32'500 ha Wohnzonen dürften bis 2030 nur 23'600 ha gebraucht werden; bei den Arbeitszonen dürften von 20'400 ha Landreserven im gleichen Zeitraum gar nur 3700 ha gebraucht werden. (vgl. Schlussbericht: «Wie viel Bauzonen braucht die Schweiz? », ARE, Oktober 2008, www.are.admin.ch › Themen/Raumordnung und Raumplanung/Siedlung/Bauzonen)

Zur Person

Beat Flach, M Law, CAS Raumplanung ETH, ist Nationalrat (Grünliberale), Mitglied der Rechtskommission (RK), der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) und der Gerichtskommission (GK), sowie Jurist für Fragen des Bau- und Vertragsrechts beim SIA.


Ja zur Revision des Raumplanungsgesetzes am 3. März 2013!

Nach sorgfältiger Beratung hat das Parlament die Revision RPG am 15. Juni 2012 als indirekten Vorschlag zur Landschaftsinitiative verabschiedet. Dies hat zum Rückzug der Landschaftsinitiative geführt – allerdings unter der Bedingung dass die Gesetzesrevision in Kraft tritt. Am 3. Oktober 2012 hat der Schweizer Gewerbeverband das Referendum gegen die Revision RPG eingereicht. Über die Revision RPG befindet daher nun am 3. März 2013 das Schweizer Stimmvolk.

Die Revision RPG geniesst bei Planerverbänden (SIA, BSA, FSU, VLP-ASPAN, FSAI, BSLA, Geosuisse, CHGEOL) und weiteren Organisationen (u.a. den Initianten der Landschaftsinitiative) breite Unterstützung. Mit der Revision RPG werden die Richtpläne präzisiert und gestärkt, wodurch u.a. die Planung in funktionalen Räumen gefördert wird. Wichtige Neuerungen sind: Die Einführung einer Mehrwertabschöpfung von mindestens 20%, eine Bebauungsplicht bei Neueinzonungen sowie die Pflicht überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren. Damit schafft das neue RPG Massnahmen gegen eine unkoordinierte Siedlungsentwicklung und die Hortung von Bauland, und sichert somit Raum für Natur und Landwirtschaft, schafft aber gleichzeitig auch Spielraum für zukünftige (bauliche und wirtschaftliche) Entwicklungen.

Weitere Informationen unter:

www.sia.ch/raumplanung

www.ja-zum-raumplanungsgesetz.ch

Beat Flach, M Law, CAS Raumplanung ETH, ist Nationalrat (Grünliberale), Mitglied der Rechtskommission (RK), der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) und der Gerichtskommission (GK), sowie Jurist für Fragen des Bau- und Vertragsrechts beim SIA. Foto: Michael Mathis, SIA