10.02.2012 | tec21 | Sonja Lüthi

Gesucht: «Praktiker»

Nachwuchsförderung, demografische Entwicklung, obligatorische Weiterbildung, Titelschutz und gesellschaftliche Anerkennung – anlässlich der ersten Swissbau Focus Arena am 17. Januar 2012 zum Thema «Bildung für die Bau- und Immobilienwirtschaft – Fachleute von morgen» wurden unter Moderation von Filippo Leutenegger nahezu alle relevanten Aspekte zum Thema Fachkräftemangel angeschnitten. Dabei war das Spektrum etwas gar weit gefasst, denn zu einer fokussierten Auseinandersetzung kam es schliesslich nicht.

Fachkräftemangel trotz hohen Studentenzahlen
Die Schweiz wächst jährlich um 80 000 Einwohner und jedes Jahr werden 40 000 neue Wohnungen gebaut. Ganz anders als in den übrigen Branchen ist der Boom in der Bauwirtschaft (noch) in vollem Gang, und die tiefen Hypothekarzinse, die Konjunkturpakete des Bundes sowie die geforderten energetischen Sanierungen sorgen für eine zusätzliche Ankurbelung. Doch diesen Idealbedingungen steht offensichtlich ein Fachkräftemangel gegenüber, der laut SIA-Präsident Stefan Cadosch zwar noch nicht akut ist, sich aber laufend zuspitzt. Dies obwohl die Architekturdepartemente der Schweizer Fachhochschulen und Hochschulen aus allen Nähten platzen. In der Praxis mangelt es denn auch nicht an Planern – darin waren sich alle insgesamt 16 Diskussionsteilnehmenden aus Baubranche, Bildungswesen und Bundesämtern einig –, sondern an denjenigen Leute, welche die Planung dann auch umsetzen können. 

Weshalb die Praktiker fehlen 
Doch was sind die Gründe für das schleichende Verschwinden der «Praktiker», und was ist dagegen zu tun? Für Andrea Deplazes, Präsident der SIA-Bildungskommission und Architekturprofessor an der ETH, steht fest, dass der Mangel an praktisch versierten Fachkräften auf das Versagen des Bildungssystems zurückzuführen ist: «Von der sybillinischen Formel ‹gleichwertig, aber andersartig› wurde nur an der Umsetzung des ersten Teils gearbeitet.» Doch auch die Direktorin des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie Ursula Renolds spricht sich vehement gegen eine schleichende Akademisierung und für das duale Bildungssystem aus: Zwar werde die Schweiz für ihre tiefe Quote an Hochschulabschlüssen häufig kritisiert, de facto gründe ihre hohe Innovationskraft aber eben gerade auf dem dualen Bildungssystem, ist Renolds überzeugt. 

Gesellschaftliche Anerkennung schaffen 
Doch unabhängig von bildungspolitischen Entscheiden zur Förderung der «Andersartigkeit », mit der gesellschaftlichen Anerkennung praktischer Berufe steht es offensichtlich auch nicht zum Besten. Auch darin waren sich alle einig. Was dagegen zu tun ist, da gingen die Meinungen etwas auseinander. Zur Stärkung der gesellschaftlichen Anerkennung, aber auch aufgrund der zunehmenden Internationalisierung plädiert Renolds dafür, Berufsbildungstitel zu schützen. Daniel Kündig, Ehrenpräsident des SIA, ruft dagegen dazu auf, eben gerade weniger auf Titel zu achten als auf Talente. Und diese wollen offensichtlich gefördert werden. Denn laut Hans Rupli, Zentralpräsident Holzbau Schweiz, liegt die Schwierigkeit innerhalb seiner Branche nicht im Erreichen von jungen Leuten, sondern darin, diese auch zu halten. Deshalb, aber auch «weil die Praxis nicht an Schulen erlernt werden kann», plädiert Armin Binz, Leiter des Institutes Energie am Bau an der FHNW, dafür, das Weiterbildungssystem besser in der Branche zu verankern, konkret durch ein Obligatorium für Weiterbildungen wie sie etwa unter Ärzten bereits besteht. Auch Daniel Büchel, Vizepräsident des Bundesamtes für Energie und Programmleiter EnergieSchweiz, ist davon überzeugt, dass eine solide Grundausbildung zwar wesentlich ist, gerade im Hinblick auf die grossen Herausforderungen, die im Energiebereich anstehen, ein gutes Weiterbildungsangebot aber ebenso essenziell ist. 

Was ist ein Praktiker? 
Welche Qualitäten diesen Praktiker auszeichnen, der zunehmend abhanden kommt, das wurde während der ganzen Diskussion aber bedauerlicherweise nicht erörtert – und wäre sicherlich ebenfalls ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftliche Anerkennung. Denn eine Gleichsetzung von «Praktiker» mit «Nichtakademiker» – wie sie Leutenegger provokativ aufstellte – greift offensichtlich zu kurz. So sprach sich Deplazes klar dafür aus, dass er – obwohl ETH-Professor – zuallererst Architekt sei und damit auch Praktiker. Und zu Recht merkte Cadosch an, dass es letzten Endes nicht relevant sei, ob der Weg in die Praxis über die Berufsbildung oder die Universität führe. Denn, wenn die Ausbildung des Bauzeichners zwar noch existiert, in der Praxis aber faktisch inexistent ist, wie Cadosch anmerkte, muss man der Realität einen Schritt entgegenkommen.

Sonja Lüthi, Redaktorin SIA



Swissbau Focus

Anlässlich der diesjährigen Swissbau, vom 17. bis 21. Januar 2012 in Basel, wurde in Ergänzung zum Ausstellungsbereich die neue Veranstaltungsplattform «Swissbau Focus» lanciert. Die mit insgesamt rund 5000 Gästen gut besuchten Vorträge, Workshops und Diskussionen wurden von den beiden Leading-Partnern SIA und EnergieSchweiz sowie weiteren führenden Branchenverbänden in Zusammenarbeit mit der Swissbau konzipiert. Herzstück der Veranstaltungsplattform bildeten vier Arenen nach Vorbild der SF-Arena zu den Themen Bildung, Gebäudelabels, Energie im Bau sowie Raumplanung. (Lichtung im LabeldschungelVerzögerte RaumplanungDeklarationspflicht für Bauten) Bei einer Sendezeit von rund einer Stunde und einer Teilnehmendenzahl von jeweils 16 führenden Akteuren aus Planung, Bauwirtschaft, Bildung und Politik bot die Arena in erster Linie eine ideale Plattform zur Kundgebung der jeweiligen Positionen zu brisanten und für den SIA entscheidenden Themen. Dabei zeigte sich, dass der Stand der Diskussion je nach Thema sehr unterschiedlich ist. Bis zur Swissbau 2014 sind alle eingeladen, die Diskussionen auf dem Swissbau-Focus-Blog fortzusetzen: www.blog.swissbau.ch Berichte, Interviews und Filme zu Swissbau Focus können auf der Website der Swissbau eingesehen werden: www.eventreport.swissbau.ch