12.07.2018 | sia online | Héloïse Gailing, Rahel Uster, Frank Peter Jäger

Die SIA-Tage 2018 haben die hohe Qualität und Vielfalt der Schweizer Architektur zum Ausdruck gebracht

Die SIA-Tage sind eine ehrliche Wiedergabe des qualitativen Anspruchs, welchen die Planenden des SIA an ihr Schaffen haben. Und die Architekturschau lebt dank dem Engagement der SIA-Sektionen. Drei Schreibende schwärmten aus, betrachteten die baulichen Massnahmen und Reaktionen der Menschen auf die neuen Orte und stellten fest: die Bauten zeugen von hoher Qualität, Vielfalt und hoher Sensibilität für die künftigen Benutzer.

In Lausanne begannen die SIA-Tage mit der Besichtigung des Musée Historique, das von Brauen Wälchli Architectes renoviert und erst vor zwei Monaten wieder eröffnet wurde. Die Sektion SIA Waadt organisierte einen Themenspaziergang von diesem Gebäude aus, zu dem sich bei Türöffnung schon vierzig Besucher versammelt hatten. Nach den ersten Erläuterungen, insbesondere zur Sgraffito-Arbeit auf der Fassade nach einem Motiv, das sich im Museum wiederfindet, wurden zwei Gruppen für die Führung gebildet. Während sich die eine Gruppe in Richtung des hellen, weissen Lichts der Säle für Sonderausstellungen aufmachte, besuchte die andere die Dauerausstellung in einer dunklen, gedämpften Atmosphäre. Einige kannten die Räumlichkeiten bereits, andere entdeckten sie neu. Alle schienen die neue Szenografie jedenfalls zu schätzen und sparten nicht mit Lob und Fragen an den Architekten, der die Beiträge der Arbeit seines Büros zum ursprünglichen Programm präsentierte: hier eine Aussicht, dort ein Garten ... Die besonders Interessierten freuten sich schon, ins Museum zurückzukehren und sich dann Zeit zu nehmen, nicht nur das Gebäude, sondern auch seinen Inhalt zu geniessen.

Eine Fassade gibt zu reden
Am zweiten Tag ging es Richtung Villeneuve, ans Ende des Genfersees, um die vom Architekturbüro bunq realisierte Sporthalle – wieder - zu entdecken. Wenngleich dieses von der Sektion Waadt in das Besichtigungsprogramm aufgenommene Gebäude bereits vor zwei Jahren eingeweiht wurde, versammelte sich ein Fachpublikum vor den Türen. Die Fassade aus Fertigbetonplatten gibt regelmässig Anlass für Fragen wie auch für Komplimente zum dadurch geschaffenen geometrischen Motiv. Drinnen traf man auf eine Gruppe von Kindern der umliegenden Wohnblocks, die vom Transparent und der Hoffnung, einige Bälle ausleihen zu dürfen, angelockt wurden. Sie inspizierten die unbehandelten und präzise verbauten Materialien. Der Architekt verteilte einige Faltblätter für Kinder, die von Ville en tête und Archijeunes für den Tag der offenen Tür gestaltet wurden; es wäre zu wünschen, dass damit der eine oder anderen Berufswunsch geweckt werden kann. Die Kinder spielen jede Woche hier, aber an diesem Tag scheinen sie die Halle mit anderen Augen zu sehen.

Ästhetischer Schutz vor Hochwasser
In Frauenfeld entstand auf dem Murg-Areal gleich neben dem Bahnhof in einem langwierigen Prozess eine Überbauung mit drei Einheiten. Die Bewohner leben in 2,5 bis 3,5-Zimmer-Wohnungen, die entweder zum Frauenfelder Bahnhof und Stadtkern ausgerichtet sind oder zum Fluss Murg, der als grüne Ader durch die Stadt verläuft und von Linden gesäumt ist. Eine begeisterte Bewohnerin öffnete für neugierige Besucher ihre Wohnung mit Balkon zum Fluss. Die Linden standen in Blüte, darin zwitschernde Vögel, Fahrradfahrer fuhren gemächlich vorbei. So beruhigend kann Wohnen mitten in der Stadt Frauenfeld sein – mit 40 Minuten Pendlerdistanz mit dem Zug nach Zürich. Mit einfachen, aber wirkungsvollen Massnahmen – für deren Einsatz sich Burkhalter Sumi Architekten (Zürich) stark machen mussten – schufen sie Gebäude, die in der mentalen Landkarte vieler Frauenfelder haften bleiben dürften: Le Corbusier-Farben erstrahlen in versetzten Abfolgen auf den Seitenwänden der Gebäude. Das Farbenspiel in rot, ocker und blau bestimmt auch die Veranden, die Treppenhäuser und die Rampen, die vom Vorplatz (gestaltet von Vogt Landschaftsarchitekten) zu den erhöhten Hauseingängen führen. Die Rampen waren keine Laune der Architekten, sondern sind ein hervorragendes Beispiel für ästhetischen Schutz vor Hochwasser, von dem Frauenfeld alle 300 heimgesucht werden könnte.

Wohlbehagen als Priorität
In Winterthur-Seen entstand auf einem Handwerksareal – in vierter Generation im Besitz der Familie Hagmann – eine atmosphärische Siedlung für Menschen in allen Lebensphasen. Mit sichtlicher Hingabe begleitete Christian Hagmann, einer der drei Hagmann-Geschwister und Bauherrn, das Projekt seit 2009. Er entwickelte die Projektidee mit, wählte die Architekten (weberbrunner architekten und soppelsa architekten, Zürich) und betreute die Baustelle mit, bezog eine der 50 Wohnungen, führt die Verwaltung und gab an den SIA-Tagen Auskunft. Während im Innenhof Kleinkinder im Badeanzug mit dem Gartenschlauch spielten, konnten die Besucher im fünften Stock von der Terrasse der Sauna über die Dächer Winterthurs blicken. Das Areal – erbaut nach den Richtlinien des SIA-Effizienzpfades Energie – ist beispielhaft für ein engagiertes Zusammenspiel von Bauherrn und Planenden, deren Priorität das Wohlbehagen der Bewohner ist. Diese haben sowohl Privatsphäre in hölzernen Aussenzimmern wie auch Gelegenheit für Begegnungen im Innenhof, im Veranstaltungssaal, auf dem Sitzplatz unter einer Platane mit Baustellwagen (der als Kinderbibliothek dient) und Pizzaofen oder im Gemüsegarten.

Sichtbare Schnitte
Nicolaj Bechtel vom Zürcher Büro Wülser Bechtel baute in Windisch (AG) ein typisches dreigeschossiges Zweifamilienhaus aus den 1930er Jahren mit Satteldach um. Solche Umbauten gehören zum Alltagsgeschäft von Architekten, häufig auch mit Allerweltsergebnissen. Ein Grund mehr, einmal etwas zu wagen – zumal, wenn man das Haus der eigenen Schwester umbauen darf. Für deren vierköpfige Familie reorganisierten Wülser Bechtel den Grundriss so, dass aus den ursprünglich zwei Wohneinheiten eine Grosse wird. Aus Kostengründen wie auch aus ästhetischen Überlegungen beruht das Umbaukonzept vor allem auf der Subtraktion von Bauteilen – Wänden, kleinen Kammern, Teilen des Dachs und ein Stück Geschossdecke; parallel dazu fügten die Architekten punktuell neue, raumdefinierende Einbauten vor allem aus Holz hinzu. Jedoch beliess Bechtel alle Spuren und Anschlüsse der herausgebrochenen Wände und Decken konsequent sichtbar; diese Bruchkanten wurden nur bereinigt und geweisst. Im Boden liess man die Fehlstellen anstelle entfernter Wände lediglich mit Unterlagsboden auffüllen. Somit bewahrt das durch geschickte Eingriffe luftig und grosszügig gewordene Haus die Erinnerung an seine frühere Gestalt. Im Verzicht auf bauliche Kosmetik an den Schnittpunkten ihrer baulichen Eingriffe sehen die Architekten ein ästhetisches Kontinuum zwischen Vorher und Nachher. Das andere grosse Thema des Umbaus ist die Dramaturgie von Offen- und Geschlossenheit: Im geneigten Dach fügten die Architekten zwei grosse, markant aus der Dachhaut tretende Gauben ein, die das Dachgeschoss zum Himmel öffnen. Die Decke über dem neuen, zwei Räumen vereinende Wohnzimmer wurde entfernt; Ein neu eingefügtes grossformatiges Fenster zum Garten unterstreicht zudem die Bedeutung des Wohnzimmers als neuem Mittelpunkt des Hauses. Ein Projekt, das inspiriert und zu reden gibt – weil es gestalterisch etwas wagt, Standards hinterfragt und mit seiner Ästhetik der sichtbaren Schnitte erfrischend daran erinnert, was Architektur kann, wie sie bestehende Räume mit wenigen Mitteln eine ganz neue Identität geben kann.

Aufgefrischtes Frühwerk
Das Basler Büro Stähelin Architekten baute ebenfalls im Bestand, doch könnten die Voraussetzungen unterschiedlicher nicht sein: Die 1960-1962 erbaute Wasenringschule im Westen von Basel ist ein frühes Hauptwerke des Architekten und Möbeldesigners Fritz Haller, der als Experte für das modulare und typisierte Bauen gilt. Für Dirk Schuhmann, der das Projekt im Büro Stähelin betreut hat, bestand die Maxime darin, dass man von den vorgenommenen Eingriffen so wenig wie möglich sieht. Bodenbeläge und (schadhafte) Deckenverkleidungen liess man austauschen, eng orientiert an der ursprünglichen Optik und Hallers Rastermass. Die eleganten bauzeitlichen Holztäfelungen und Wandschränke liess man diskret aufarbeiten. Alleine für die Beleuchtung und den Beamer erlaubte man sich, einen schwebenden Rahmen als unter der Decke hängendes Medien- und Beleuchtungsmodul einzufügen. Ein ambivalentes Projekt: Der gestalterische Spielraum war minimal, andererseits hat man die seltene Gelegenheit, einen Klassiker der Schweizer Moderne von späteren Ergänzungen und baulichen Defiziten zu befreien.

Kleingewerbe in der alten Mühle
Deutlich grössere Freiheiten hatte die Metron Architektur AG, die im Basler Klybeck-Quartier ein Mühlengebäude aus dem Jahr 1899 umbaute, das bis 2002 in Betrieb war. «Freiräume fürs Klybeck» war das Motto des Umbauprojektes im Auftrag der gemeinnützigen Basler Stiftung Habitat. Auf den weitläufigen Geschossen der alten Mühle entsteht jedoch kein weiterer Kulturort, sondern erschwingliche Gewerbeflächen für Kleinhandwerker und andere junge Firmen, von der Kaffeerösterei über Druckwerkstätten bis zur Behindertenwerkstatt. Sensibel verbanden die Architekten den Bestand mit heutigen baulichen Standards. Um im Inneren grosse, ungeteilte Flächen zu bewahren, so Projektleiter Marc D. Knellwolf, setzte man ein neues Treppenhaus nebst laubengangartiger Erschliessung vor die Hauptfassade. Verzinkter Stahl, Beton und Absturzsicherungen aus Maschendraht knüpfen in ihrem robusten, schlichten Habitus an die industrielle Ästhetik des Ursprungsbaus an.

Frauenfeld Murg-Areal. Foto: Rahel Uster

Areal in Winterthur-Seen. Foto: Rahel Uster

Wohnhaus in Windisch. Foto: Nicolai Bechtel