03.12.2013 | tec21 | Susanne Kytzia

Den Blick auf das Wesentliche richten

Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen, die einen offenen und konstruktiven Diskurs über die zukünftige Entwicklung erfordern. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA ist überzeugt, dass die Arbeiten seiner Mitglieder dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Mit «Umsicht – Regards – Sguardi 2013» zeichnet der SIA zum dritten Mal besondere Innovationsleistungen aus: ausgeführte Arbeiten für eine zukunftsfähige Gestaltung des Lebensraums. Er treibt damit einen Lernprozess voran, der fachliche Grenzen überschreitet und eine interessierte Öffentlichkeit zur Diskussion einlädt.

Mit der Auszeichnung «Umsicht» trägt der SIA zum Diskurs darüber bei, wie die Schweiz in Zukunft aussehen soll. Das anhaltende Wachstum, der zunehmende Anteil älterer Menschen, die Zukunft der Energieversorgung – Themen wie diese fordern die Schweiz heute heraus. In vielen Bereichen der Gesellschaft wird nach Lösungen gesucht. «Umsicht» präsentiert konkrete Vorschläge. Welchen besonderen Beitrag leistet beispielsweise ein Landwirtschaftsbetrieb im Berggebiet? Wie zeichnet sich ein Berufsschulzentrum aus? Was ist an der Erneuerung eines Wanderwegs herausragend? In der Jurierung des Wettbewerbs wird jedes Projekt kritisch hinterfragt. Das Ergebnis der Auswahl der Wettbewerbe 2007 und 2011 hat viele Fachleute überrascht und Anlass zu Diskussionen gegeben. 2013 wird das nicht anders sein.

Zukunft erfahrbar machen
Die Zukunft der Schweiz muss breit diskutiert werden, aber Ingenieure und Architekten leisten Beiträge in besonderer Qualität: Sie sind konkret erlebbar. «Umsicht» zeichnet ausschliesslich Projekte aus, die in wesentlichen Teilen bereits umgesetzt sind. Man kann diese Projekte anschauen, begehen und in ihrer Entwicklung verfolgen.

Wie funktioniert eine Schule mit durchsichtigen Wänden? Kann ein Pilgersteg neben einer dicht befahrenen Strasse besinnlich und verbindend sein? Führt eine Aufwertung von Stadträumen zur Verdrängung sozial Schwächerer? «Umsicht» rückt ausgewählte Projekte ins Blickfeld und thematisiert damit die dahinter liegende Idee der Gestaltenden. Diese Auseinandersetzung ist anspruchsvoll und anregend. Hier versteckt sich niemand hinter abstrakten Ideen, vielmehr werden die Betrachtenden aufgefordert, sich mit zu konkreten – teilweise alltäglichen – Situationen zu beschäftigen. Das fasziniert und berührt.

Aufforderung zur Innovation
Allen Projekten gemeinsam ist der Wille zu einer umsichtigen Gestaltung der Zukunft. Mit dem Beurteilungskriterium der Innovationsleistung wird dies in «Umsicht 2013»hervorgehoben. Innovationsleistung umschreibt einen Prozess der umsichtigen Gestaltung als kreativ, offen, integrativ und fachübergreifend. Das Projekt soll Antworten auf Fragen von allgemeinem Interesse geben und das bisherige Spektrum verfügbarer Lösungen erweitern. So zeichnet man in «Umsicht 2013» ein Projekt aus, das neue Wege in der Sanierung von Liegenschaften mit verschiedenen Eigentümern aufzeigt. Auch wenn das betroffene Objekt in Genf einzigartig ist, könnte man den Lösungsweg auf viele andere Schweizer Siedlungen übertragen – angesichts der wachsenden Herausforderung der Sanierung von Stockwerkeigentum ein wichtiger Beitrag von allgemeinem Interesse. Neben der Innovationsleistung stehen Qualitätskriterien an das Projekt in Bezug auf Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft und die kulturelle Entwicklung. «Umsicht» zeichnet kein Projekt aus, das in diesen Kriterien schlecht abschneidet. Entscheidend bleibt aber die Innovationsleistung.

Öffentlichkeit schaffen
Mit «Umsicht» leistet sich der SIA eine international sichtbare Plattform – ein Schaufenster – für wegweisende Beiträge Schweizer Ingenieure und Architekten. Eine fachübergreifend zusammengesetzte Jury entscheidet darüber, was tatsächlich als wegweisend bezeichnet werden kann. Da hier das Votum jeder Fachdisziplin gleich viel zählt – von Soziologie über das Ingenieurwesen bis zur Architektur –, ist das Ergebnis oft überraschend. Aber die gesamte Jury muss in drei ganztägigen Jurysitzungen von der Qualität des jeweiligen Projekts überzeugt werden. Im Juni 2013 wurden aus fast 80 eingegebenen Projekten unterschiedlicher Grösse und zu einem breiten Themenspektrum in einer zweitägigen Sitzung 14 Arbeiten für die engere Wahl ausgewählt. Nach einer Besichtigung der Projekte vor Ort durch jeweils zwei bis drei Mitglieder zeichnete die Jury am abschliessenden Jurytag fünf Arbeiten aus. Einem weiteren Projekt sprach sie eine Anerkennung aus. Bewusst beschränkte man sich auf wenige Arbeiten, um den Beitrag der einzelnen Arbeit stärker hervorzuheben. Beeindruckt zeigte sich die Jury vor allem durch Projekte, die Voraussetzungen für ein gutes Zusammenleben und -arbeiten schaffen, wie das Mehrgenerationenhaus in Winterthur und das Gewerbehaus in Oerlikon. Mit einem konventionellen Architekturwettbewerb hat das nur wenig zu tun. Es wird vielmehr die grundsätzliche Frage aufgeworfen, wie wir uns zukünftig ein qualitätvolles Leben und Arbeiten vorstellen.

Umsicht 07–11–13
«Umsicht – Regards – Sguardi 2013» zeigt, dass die Auszeichnung zunehmend an Profil gewinnt. Anders als 2007 und 2011 muss man nicht mehr erklären, dass der SIA keinen Preis allein für nachhaltiges Bauen vergeben will. 2013 haben sich andere Institutionen dieser Aufgabe mit verschiedenen Preisen und Labels angenommen. «Umsicht 2013» kann den Blick auf das Wesentliche richten: die Frage, welche Schweiz wir in der Zukunft wollen. Die ausgezeichneten Projekte 2013 zeigen eine lebens- und liebenswerte Schweiz. Zu idyllisch? Die Besucher der Wanderausstellung werden sich dazu in den kommenden Monaten ihre eigene Meinung bilden. Die Ausstellung dokumentiert die Projekte aus der «Umsicht»-Perspektive: offen, anschaulich und anregend. Angesprochen sind die interessierte Öffentlichkeit, vor allem aber auch Fachleute und Studierende aus Architektur, Ingenieurwesen und Planung. Die Ausstellung geht in die Heimat der einzelnen Projekte und lädt die Projektverantwortlichen ein, sich an der Diskussion zu beteiligen. In der Nachevaluation begleitet der SIA die ausgezeichneten Projekte in ihrer weiteren Entwicklung. Die Ergebnisse werden mit den Projektverantwortlichen diskutiert, und allgemeine Erkenntnisse fliessen in die weitere Entwicklung der Auszeichnung ein.