23.03.2012 | tec21 | Jean-Pierre Wymann

Befangenheit und Ausstandsgründe

Viele Auslober verweisen in ihren Programmen auf die Wegleitung Befangenheit und Ausstandsgründe der Wettbewerbskommission des SIA. Nun liegt eine revidierte Fassung vor, welche die neuen gesetzlichen Grundlagen erläutert und viele zusätzliche Beispiele enthält.

Befangen können Personen sein, die zueinander in einem Anstellungs-, Verwandtschafts-, Abhängigkeits- oder Zusammengehörigkeitsverhältnis stehen oder an der Vorbereitung eines Wettbewerbs beteiligt waren. Befangenheit liegt dann vor, wenn diese Umstände das unabhängige Urteilsvermögen beeinflussen. Sie kann alle am Wettbewerb Beteiligten betreffen, das heisst Begleiter, Jurymitglieder, Experten und Teilnehmer. Solche Konstellationen kommen in der kleinen Schweizer Wettbewerbsszene oft vor, weil der Kreis kompetenter Fachleute eingeschränkt ist und diese sich oft kennen oder miteinander zu tun haben. Da unlauteres Verhalten dem Wettbewerbswesen insgesamt schadet, legt die SIA-Kommission 142/143 Wettbewerbe und Studienaufträge hier strenge Massstäbe an. An einem Wettbewerb Beteiligte sollen selbst dann, wenn nur ein Anschein von Befangenheit besteht, von einer Beteiligung Abstand nehmen.

Bei Gerichtsverfahren müssen befangene Gerichtspersonen in Ausstand treten. Die analoge Anwendung dieser Bestimmung für Wettbewerbe bedeutet, dass befangene Bewerber nicht teilnehmen dürfen, und nicht, dass betroffene Jurymitglieder in Ausstand treten müssen. Das heisst, dass anders als bei einem Gerichtsfall, wo die angeklagte Person bekannt ist und die Zusammensetzung des Gerichtes darauf abgestimmt wird, die Teilnehmer an einem Wettbewerb in Kenntnis der Zusammensetzung der Jury entscheiden müssen, ob sie teilnehmen dürfen oder nicht. Würden die Jurymitglieder gezwungen, in Ausstand zu treten, könnte jede Jury, auch eine mit mehreren Ersatzjuroren, gesprengt werden.

Beim offenen und selektiven Verfahren liegt die Verantwortung dafür, beim Vorliegen von Befangenheit nicht am Wettbewerb teilzunehmen, bei den Teilnehmern. Beim selektiven Verfahren wie auch beim Einladungsverfahren muss zusätzlich auch jedes Jurymitglied mögliche Interessenskonflikte offenlegen.

Verwandtschaft
Ob Befangenheit vorliegt, ist abhängig vom Verwandtschaftsgrad und davon, welche Stellung die betroffenen Personen einnehmen und ob diese am Wettbewerb beteiligt sind oder nicht. Die Bestimmungen über die Verwandtschaft gelten für die Inhaber und die am Wettbewerb beteiligten Mitarbeitenden eines teilnehmenden Büros. Ausgenommen sind Mitarbeitende, die nicht am Wettbewerb beteiligt sind.

In den Kantonen sind die einschränkenden Bestimmungen betreffend Verwandtschaftsgrad unterschiedlich geregelt. Es gelten die entsprechenden Verwaltungsrechtspflegegesetze.
Auf Bundesebene gilt neu, dass für Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie sowie bis und mit 3. Grad in der Seitenlinie (Onkel/Tante und Neffe/Nichte) eine Teilnahme nicht zulässig ist. Der Bund rückt also von der bisherigen Bestimmung ab, wonach bereits ein Verwandtschaftsgrad bis und mit dem 4. Grad in der Seitenlinie einen Ausstandsgrund darstellt. Die neue gesetzliche Bestimmung entspricht damit der Regelung der 2005 publizierten Wegleitung Befangenheit und Ausstandsgründe.

Abhängigkeit und Zusammengehörigkeit
Planer schliessen sich aus unterschiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Arten von Planerverbindungen zusammen. Die Wegleitung unterscheidet räumliche Bürogemeinschaften, befristete Projektpartnerschaften und unbefristete Planergruppen. Grundsätzlich begründen Planerverbindungen ein Abhängigkeits- oder Zusammengehörigkeitsverhältnis und können deshalb einen Ausstandsgrund darstellen. Bei befristeten Projektpartnerschaften ist dies der Fall, wenn ein Vertragsverhältnis zwischen Ausschreibung und Jurierung des Wettbewerbs besteht und wenn der Umsatz aus der Projektpartnerschaft bezogen auf den Umsatz der einzelnen Partner wesentlich ist.
Beteiligungen an juristischen Personen, Führungspositionen, Lehrtätigkeiten oder politische Mandate können auch zu einem Abhängigkeits- und Zusammengehörigkeitsverhältnis führen. Ehepartner sind zwar untereinander nicht verwandt, eine Ehe oder eine eheähnliche Beziehung begründet aber klar ein Zusammengehörigkeits- und auch ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis. Ob ein Ausstandsgrund vorliegt, ist davon abhängig, welche Stellung die Partner in den am Wettbewerb beteiligten Unternehmungen oder Behörden einnehmen und ob sie am Wettbewerb beteiligt sind oder nicht.

Vorbefassung und Freundschaft
Verfasser von Studien zur Vorbereitung eines Wettbewerbs können ausnahmsweise von der Jury zur Teilnahme am Wettbewerb zugelassen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Ergebnisse der Vorarbeiten allen Teilnehmern zugänglich sind und der Studienverfasser im Programm namentlich erwähnt wird.
Freundschaften zwischen Teilnehmern und Jurymitgliedern bedeuten noch nicht, dass diese befangen sind, und stellen deshalb keinen Ausstandsgrund dar. Wegen der kleinräumigen Wettbewerbsszene und den wenigen Hochschulen für Architekten- oder Ingenieurausbildung kommt dies in der Schweiz häufig vor. Die Tatsache, dass Fachjuroren ihre Qualifikation über die erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben erhalten, also gleichermassen Teilnehmer und Jurymitglieder sind, verstärkt das Beziehungsgeflecht, fördert aber auch die Wettbewerbskultur und damit die Qualität der Architektur. Ausserdem sind Planer derselben Sparte immer auch Konkurrenten, was eine gewisse kritische Distanz schafft.

Zusammensetzung der Jury
Immer wieder gleich zusammengesetzte Jurys können zu einer systematischen Benachteiligung führen. Öffentliche und institutionelle Auftraggeber sollen deshalb die Jurymitglieder abwechselnd aus einem breiten Personenkreis bestimmen. Dabei erleichtert der Beizug von nicht ortsansässigen Jurymitgliedern Teilnehmenden einer bestimmten Region den Zugang zu Wettbewerben.

Jean-Pierre Wymann, Architekt ETH SIA BSA, Leiter Wettbewerbe und Studienaufträge SIA


Sämtliche Wegleitungen der SIA-Kommission 142/143 können unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden: www.sia.ch/142i