02.11.2012 | tec21 | Claudia Schwalfenberg

Baukultur als Bildungsgut

Die Verankerung zeitgenössischer Baukultur in der eidgenössischen Kulturpolitik kommt voran. Im August lancierte die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur das Postulat «Zeitgenössische Baukultur in der Kulturbotschaft 2016–2019». Einen Monat später entwickelte Roger Diener an einem Sessionsanlass des SIA sechs Thesen zur Pflege der Baukultur.

In ihrem Postulat «Zeitgenössische Baukultur in der Kulturbotschaft 2016–2019» vom 16. August 2012 fordert die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur vom Bundesrat einen Bericht zur Baukultur. Der Bericht soll ein Konzept liefern, «welche Förderung und Fördermittel der Bund im Rahmen der Kulturbotschaft 2016–2019 vorsieht, damit zeitgenössische baukulturelle Ansätze spezifische, ihre verschiedenen Disziplinen umfassende Plattformen erhalten und um zeitgenössische Baukultur an ein breites Publikum, insbesondere an Schülerinnen und Schüler, zu vermitteln ». Der Bericht soll ausserdem für eine «Gesamtstrategie zur Baukultur» sorgen, die neben Akteuren der Baukultur «Institutionen des Bundes einbezieht, die sowohl über monetäre Förderinstrumente als auch über nicht-monetäre Rahmenbedingungen Einfluss auf den gestalteten Lebensraum nehmen ». Die nationalrätliche Kommission begründet ihre Forderungen insbesondere mit einem dringenden Bedarf an «Wissensvermittlung und Aufklärung über den gestalteten Lebensraum».

Dialog aufbauen

Um den Dialog über Baukultur weiter aufzubauen, lud der SIA am 19. September 2012 zum Sessionanlass «Denkmalschutz versus zeitgenössische Baukultur?» ins Hotel Bellevue Palace in Bern. Vor Parlamentariern und Fachleuten entwickelte Roger Diener dort sechs Thesen zur Pflege der Baukultur (vgl. Kasten). Auch der Basler Architekt unterstrich – wie schon zuvor die Kulturkommission des Nationalrats –, dass «die Voraussetzungen für einen Dialog über die Gestaltung unserer Umwelt» geschaffen werden müssen. Er verwies auf das Schweizerische Architekturmuseum in Basel, das schon vor 30 Jahren damit begonnen habe, einen solchen Dialog aufzubauen. Diener betonte, die Förderung der zeitgenössischen Baukultur müsse in die Breite zielen: «Eine hochwertige Transformation unserer Städte ist nicht nur auf ein erweitertes Verständnis für zeitgenössisches Bauen seitens der Projektverfasser angewiesen, sondern auch seitens der einzelnen Bürger und Bewohner und schliesslich der Behörden. Die Transformation der Städte ist eine unausweichliche Entwicklung, sie geschieht nicht so sehr mit den grossen, monumentalen Bauaufgaben, sondern in der ganzen Breite der Stadt.»

Forderungen an die Politik

SIA-Präsident Stefan Cadosch kritisierte: «Indem der Bund die zeitgenössische Baukultur in seiner Kulturpolitik bisher marginalisiert, entzieht er der Diskussion über den gestalteten Lebensraum, der nachhaltigen Raumnutzung und den damit verknüpften Herausforderungen die wertvollsten Fundamente.» Es sei Aufgabe von Parlament und Behörden, im Rahmen der Kulturbotschaft 2016- 2019 entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Die Schaffung eines spezifischen Preises für zeitgenössische Baukultur, die finanzielle Unterstützung des Schweizerischen Architekturmuseums oder die Unterstützung von Spacespot, dem Verein zur Sensibilisierung für den gestalteten Lebensraum, könnten erste Schritte sein.

Claudia Schwalfenberg, Verantwortliche Baukultur SIA

 

 


Sechs Thesen zur Pflege der Baukultur von Roger Diener

  1. Denkmalpflege und zeitgenössische Baukultur sind nicht zu trennen.
  2. Baukultur meint nicht das Einzelobjekt – das gilt für die Denkmalpflege und für die zeitgenössische Baukultur.
  3. Zeitgenössische Baukultur ist nicht einfach gute Architektur. Sie ist der verantwortungsvolle und schöpferische Umgang mit den gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen der gestalteten Umwelt.
  4. Der Gestalter zeitgenössischer Baukultur muss mit der Gesellschaft im Austausch stehen – und sie mit ihm.
  5. Die hochwertige zeitgenössische Baukultur in der Schweiz beruht auf einem Wissen über Konstruktionsmethoden und über Handwerk. Dieses Wissen ist bedroht – eine Herausforderung für die Baukultur, gleichermassen für die zeitgenössische Architektur wie für die Denkmalpflege.
  6. Wir brauchen zeitgenössische Baukultur als Gut unserer Bildung für das kritische Bewusstsein – nicht um Spitzenarchitektur zu subventionieren.

Der Basler Architekt Roger Diener entwickelte sechs Thesen zur Baukultur (Foto: Philipp Zinniker)