09.03.2018 | sia online | Hans-Georg Bächtold

Die Verantwortung der Ingenieurberufe

Der Dachverband der europäischen Ingenieure rüstet sich für die Zukunft der Disziplin. Nachwuchsförderung, zeitgemässe Ausbildung und Fortbildung sowie gesellschaftliche Anerkennung der Ingenieursarbeit stehen im Fokus der Diskussion.

Gemeinsam mit der Vereinigung «Swiss Engineering» (STV) bildet der SIA das Schweizer Nationalkomitee der FEANI (Fédération Européenne d'Associations Nationales d' lngénieurs). 2017 stand für die Organisation die Rolle und Verantwortung der Ingenieure und Ingenieurinnen in Europa im Zentrum. Intensive Diskussionen betrafen zudem die Berufsanerkennung. Vertretungen des Nationalkomitees nahmen am Treffen der mitteleuropäischen Länder am 31.8./1.9. in Hamburg und an der Generalversammlung sowie dem Ingenieurtag am 5./6. Oktober in Wien teil. Das NK CH wirkte auch in der Task Force zur Neuausrichtung der Tätigkeiten von FEANI mit.

Dachverband «Engineers of Europe» als Ziel
Einen kontroversen Diskussionspunkte bildete die Frage, wie die veraltete Förderung der Mobilität von Fachleuten durch ein Engagement in gesellschaftlichen Bereichen ersetzt werden kann durch engere Zusammenarbeit mit der Industrie und durch gemeinsame Projekten der nationalen Mitglieder. Einmütiges Ziel ist es, die Dachorganisation «Engineers of Europe» zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Europäische Union FEANI als den Ansprechpartner und als Stimme der europäischen Ingenieure akzeptiert. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Industrie gibt es innerhalb des schweizerischen Komitees unterschiedliche Ansichten: Der SIA hält wegen seiner Normierungsaktivitäten eher Distanz zur Industrie, während der STV vereinspolitisch die Industrie miteinbezieht.

Ausbildungsprinzipien bestätigt
Mit dem Bericht «Professional Status of the Engineer in Europe» wurde eine gute Diskussionsgrundlage geschaffen. Ausgangspunkt bildete eine Umfrage in den Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse belegen, dass das 2-Stufen-System Bachelor und Master mehrheitlich befürwortet wird. Einige Länder betonen, dass ein Bachelor-Titel mit 2-3 Jahren Berufserfahrung für den Berufseintritt genügen sollte. Die Einführung eines Titels «European Licensed Engineer Master/Bachelor Level» wird mehrheitlich – auch von der Schweiz – befürwortet. Mehrheitsfähig war auch die Auffassung, dass als Folge des Common Training Frameworks CTF (gemeinsamer Ausbildungsrahmen hinsichtlich Berufsqualifikation und nationalen Berufsbezeichnungen) eine Vereinheitlichung der beruflichen Rechte/Kompetenzen möglich und nötig sei; einige Berufskammern halten dies für unnötig. Das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI betont, dass die Bedingungen des Empfängerlands massgebend seien.

In der Frage des Ausgleichs geringerer akademischer Ausbildung durch praktische Erfahrung besteht in Europa keine einheitliche Haltung. Eine knappe Hälfte (inkl. der Schweiz) befürwortet Kompensationsmöglichkeiten für den Bachelor und den Master. Eine grosse Mehrheit (inkl. Schweiz) ist allerdings gegen die Einführung eines Common Training Frameworks mit diesen Kompensationsmöglichkeiten. Eine grosse Mehrheit akzeptiert das ECTS-Punktesystem als Vergleichsmassstab; Grossbritannien und Irland betonen jedoch, dass auch Outcomebasierte Kriterien möglich sein müssen. Ebenso plädiert eine grosse Mehrheit für 300 ECTS-Punkte als Minimum für einen Master-Titel resp. 180 ECTS-Punkte für einen Bachelor-Titel. Massgebend ist stets die Einstufung durch das Entsendeland. Damit ist zugleich die berufliche Zulassung verbunden. Eine Diskussion machte sich an den Zusatzanforderungen in puncto praktischer Berufserfahrung fest. Die Meinungen schwanken zwischen «keine Anforderung» (z.B. Schweiz), über das Votum einer relativen Mehrheit für zwei Jahre. Eine grosse Mehrheit vertritt die Haltung, dass Wissen / Fähigkeit / Kompetenz (als Kriterium für einen Erfahrungsnachweis oder eine Berufsprüfung) definiert werden müssten.

Weiterbildung forcieren
Das Nationalkomitee zieht daraus die folgenden Schlussfolgerungen für die Schweiz: Bei der Stärkung der Berufspraxis in der Ausbildung besteht geringer Handlungsbedarf. Besonders an den Fachhochschulen, mehr und mehr aber auch an Hochschulen wird die Praxis während des Studiums angemessen miteinbezogen. Dank der mehrheitlich eher kleinen Ingenieurbüros in der Schweiz fragt der Markt nach jungen Ingenieuren, die sofort in die praktische Berufsausübung einsteigen können. Keinen dringenden Handlungsbedarf sieht das Nationalkomitee bei der zusätzlichen Entwicklung von Ausbildungsprogrammen; die Studiengangs-Leiter und die Praxis arbeiteten heute nach Auffassung von Kennern der Lehre heute sehr eng zusammen.

Hingegen wird Handlungsbedarf bei der kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung gesehen. In einer Zeit, in der sich die Branche mit fortlaufendenVeränderungen konfrontiert sieht, ist Weiterbildung unverzichtbar, um als Unternehmen und auch als individueller Ingenieur à jour und damit wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Weiterbildung muss primär selbstverantwortlich von den Unternehmen und individuellen Personen sichergestellt werden. Klar ist, dass zum Erlangen von Nachweisen nicht einfach Seminartage «abgesessen werden» können. Bei der aktuellen Tiefpreisproblematik wird die Gefahr gesehen, dass Weiterbildungen zu Gunsten von Büropräsenz und verrechenbaren Stunden zurückgestellt werden. Grundsätzlich sollte der Fokus auf einem gemeinsamen Minimum von Anforderungen in der Ausbildung von Ingenieuren (Common Training Principles CTP) liegen, statt auf dem gemeinsamen Ausbildungsrahmen (Common Training Framework CTF), wo bilateral Anerkennungen vergeben, die Gleichwertigkeit der Ausbildung geprüft und Kompensationsmassnahmen ergriffen werden. Das würde eine schnellere multilaterale, automatische Berufsanerkennung erlauben.

Das Nationalkomitee Schweiz erachtet die Würdigung der Arbeit von Ingenieuren als essentiell. Beide Trägerverbände sind bereits aktiv (der SIA mit seiner Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi», der STV z.B. mit den «Tagen der Technik»). Zweifellos ist noch deutlich mehr möglich, u. a. durch geschickte Vernetzungen mit anderen Organisationen. Mit dieser Absicht soll die Zusammenarbeit mit dem REG (Stiftung der Schweizerischen Register der Fachleute in den Bereichen des Ingenieurwesens, der Architektur und der Umwelt) intensiviert werden.

Erfolgsmodell Dualer Bildungsweg
Europaweit ist es zunehmend common sense, dass Berufsverbände wie Arbeitgeber von Mitarbeitenden die Bereitschaft zur Weiterbildung erwarten. Innerhalb dieser Dynamik wird die Schweiz immer schwächer. Das REG erarbeitet momentan ein neues Konzept für Revalidierung und Weiterbildung. Wichtige Ansätze bestehen in der Weiterführung des dualen Bildungsweges, der Entwickeln von neuen Kriterien für die Weiterbildung (bisher gelten Referenzprojekte und Praxiserfahrung) und der Revalidierung der Ausbildung und in der Bearbeitung des Themas Experten/Gutachter. Dazu hat auch der SIA eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

Politisches Engagement ausbauen

Am 5./6. Oktober 2017 fanden in Wien der Ingenieur-Tag und die FEANI-Generalversammlung statt. Der Ingenieurtag war für die Schweizer Delegation interessant, wenn auch stark von der Sicht der Hochschulen geprägt. Wichtige Erkenntnisse des Treffens waren:

1. Die Erstausbildung veraltet rasch; es braucht deshalb eine kontinuierliche Weiterbildung und entsprechende Angebote. Vor dem Hintergrund des raschen technologischen Wandels ist das lebenslange Lernen ein Muss – mit Fortbildungen wie auch in der Berufs-Praxis.

2. Digitalisierung. Es läuft auf eine zunehmende Automatisierung heraus und auf neue Businessmodelle. Die 4. industrielle Revolution wird die Art, Geschäfte zu machen, tiefgreifend verändern.

3. Ingenieurinnen und Ingenieure benötigen eine klar wahrnehmbare Stimme in der Gesellschaft für die Lösung der Herausforderungen im Bereich Klimaveränderung, Naturgefahren, Mobilität sowie in der Energiefrage.

4. Ein zentrales Problem bleibt, dass der Ingenieurbereich nicht genug Fachleute in die Praxis bringt. Als viel versprechend erscheint es, verstärkt geeignet ausgebildete Flüchtlinge und Migranten zu integrieren. Zudem gilt es, Frauen – insbesondere Mädchen – für technische Ausbildungen zu gewinnen. Dafür sind Berufsprofile für Frauen sehr hilfreich und wichtig.

5. Als Prioritäten für Europa werden genannt
- Vorstellungen und Visionen für das „Engineering“ entwickeln
- Sichtbarkeit des Ingenieurwesens, der Ingenieure und der Ingenieurinnen verstärken
- Eine starke Stimme der der Ingenieure und der Ingenieurinnen etablieren und sich starke Partner suchen
- Verstärkung der politischen Einflussnahme. Ziel muss sein, mehr Ingenieure in die Politik zu entsenden und sich für ein grösseres Engagement in der Politik einzusetzen
- im Sinne der Hypothese: Ingenieure/Ingenieurinnen führen zu besseren Entscheiden. Dazu ein paar Hinweise: Wichtig ist das Agendasetting bei der Erarbeitung der Gesetze; die Einflussnahme muss früh beginnen. Es gilt, sich mit aktiver Medienarbeit in den Dialog einzubringen und Ingenieurinnen und Ingenieure zu ermutigen, den Themen ein Gesicht zu geben und Wahlempfehlungen für politische Gremien zu machen.

Hans-Georg Bächtold, Dipl. Forst-Ing. ETH, Raumplaner ETH/NDS, Geschäftsführer SIA

 


Info
Das Nationalkomitee Schweiz der FEANI (Fédération Européenne d'Associations Nationales d' lngénieurs) besteht aus einer Vertretung von Swiss Engineering (STV) und des SIA. Ziele der Kooperation sind aktive Vernetzung mit den Ingenieurverbänden in anderen europäischen Ländern und auch Übersee, der Erfahrungsaustausch mit anderen Ingenieur-Organisationen, gemeinsames Einstehen für die Qualifikation und das Ansehen sowie die Förderung der Mobilität von Ingenieurinnen und Ingenieuren.