11.12.2011 | nzzexecutive.ch | Beat Grossrieder

Gute Gebäudegestalter sind gefragt

«Deutliche Zunahme von neu erstellten Wohnungen»: Anfang dieser Woche konnte das Bundesamt für Statistik (BfS) trotz angespannter wirtschaftlicher Lage wieder einmal Positives vermelden. Während andere Branchen mit Auftragsrückgängen oder gar Arbeitsplatzverlusten zu kämpfen haben, boomt die Bauwirtschaft nach wie vor, insbesondere der Wohnungsbau. Im dritten Quartal 2011 wurden in der Schweiz 11 280 Wohnungen neu erstellt, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Ende September befanden sich über 70 000 Wohnungen im Bau, plus 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und auch die Aussichten sind gut: Von Juli bis September 2011 stieg die Zahl der bewilligten Gesuche für neue Wohnbauten um 3 Prozent auf 12 780 Einheiten.

Laut Marc Zimmermann von der Sektion Gebäude und Wohnungen beim BfS lässt sich diese Entwicklung sowohl in kleineren Gemeinden wie auch in Städten feststellen. Besonders fulminant ist der Bauboom im urbanen Raum: Im Umfeld der fünf grössten Städte erhöhte sich die Zahl der bewilligten Wohnungen gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent, die Anzahl der neu erstellten Wohnungen gar um 70 Prozent. – Seit dem Einbruch in den neunziger Jahren sind die Bauausgaben (Investitionen plus öffentlicher Unterhalt) ansteigend und betragen heute 57 Milliarden Franken (plus 4,5 Prozent gegenüber 2009). Die gemeldeten Bauvorhaben liessen für das Jahr 2011 einen Anstieg der gesamten Bauausgaben um 2,7 Prozent erwarten, hält das BfS fest.

Von diesem Trend profitieren nicht zuletzt die Architekten. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) präsentierte im November die neuste Branchenumfrage, die er jeweils bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) in Auftrag gibt. Darin heisst es für das dritte Quartal 2011: «Die Architekturbüros beurteilen ihre Geschäftslage weiterhin als hervorragend: Über 70 Prozent melden eine <gute>, mehr als 25 Prozent eine <befriedigende> und nur Einzelne eine <schlechte> Lage.» Im Sommer 2011 hatte die KOF gar «rekordhohe Auftragsbestände» vermeldet; damals bewerteten 93 Prozent der Büros ihre Lage als positiv.

Die KOF begründet die rosigen Aussichten mit der «erneut gestiegenen Nachfrage». Bei jedem fünften Architekturbüro hätten die erbrachten Leistungen zugenommen, die Auftragsbücher seien auf rund 11 Monate hinaus voll. Auch das Volumen der Aufträge wachse, vor allem bei Wohnbauten: «Die Bausumme der neu abgeschlossenen Verträge hat im Wohnungsbau die bereits hohe Zunahme der letzten Umfragen gehalten. Trotz verhaltener Zunahme im Wirtschafts- und einer Stagnation im öffentlichen Bau ist die Gesamtsumme entsprechend gestiegen.» Die Architekturbüros seien für die kommenden Monate zuversichtlich; unter dem Strich rechne der Grossteil aber nicht mehr mit einer weiteren Zunahme, sondern mit einer Stagnation. Das gilt aber nicht für die Beschäftigtenzahlen, die weiter nach oben klettern dürften: Rund 16 Prozent der Architekturbüros rechnen damit, in den kommenden Monaten mehr Personal beschäftigen zu müssen. – Innerhalb des SIA ist die Berufsgruppe Architektur mit fast 7000 Mitgliedern bereits heute die grösste Gruppe; es folgt jene der Bauingenieure mit 3600, die Gruppe Boden/Wasser/Luft (etwa Forstingenieure) mit 1100 und Technik/Industrie (zum Beispiel Maschineningenieure) mit knapp 1000 Berufsleuten. Die Beschäftigungsstatistik (Besta) des BfS zählt gegenwärtig 79 000 Vollzeitstellen im Bereich der Architektur- und Ingenieurbüros; rund zwei Drittel davon dürften auf das Architekturgewerbe entfallen. Genaue Zahlen zur Gesamtzahl der selbständigen und angestellten Architekten in der Schweiz existierten aber nicht, sagt Thomas Müller, Mediensprecher des SIA. Die Branche verzeichnet jedoch auch bei der Beschäftigung ein Wachstum; gegenüber dem Vorjahr betrug die Zunahme an Vollzeitstellen bis zu 3 Prozent.

Wie aber steht es um das Selbstverständnis der Berufsleute? Hier lauten die gängigen Klischees: Architekten sind Künstler und Designer, die sich selbst verwirklichen und primär ihre persönliche Handschrift verewigen wollen. Oder sie sind eher nüchterne Bauleute, die schauen, dass das Terrain gut ausgenutzt wird und die Budgets eingehalten werden. Für Müller lautet das Zauberwort der Stunde «Ganzheitlichkeit». «Architekten und Ingenieure erbringen in erster Linie eine zentrale intellektuelle Dienstleistung und sind Treuhänder ihrer Bauherrschaft. Sie erschaffen, entwickeln, planen und realisieren Bauwerke aller Art. Gute Architekten operieren ganzheitlich und versuchen mit ihren Werken sowohl gestalterische und ökonomische als auch soziale, nachhaltige und kulturelle Aspekte zu berücksichtigen.»

Der Weg zum «ganzheitlich» denkenden Gebäudegestalter kann grundsätzlich auf zwei Schienen erfolgen: über eine Berufslehre (etwa Bauzeichner) mit Berufsmatura und Fachhochschulabschluss; oder über eine gymnasiale Matura und das Studium an der Universität / der ETH. Problematisch sei die Tatsache, dass der Berufstitel Architekt(in) nicht geschützt sei, sagt Thomas Müller. «Architekt oder Architektin kann sich in unserem Land jeder nennen. Als Orientierung auf der Suche nach qualifizierten Fachleuten kann das <SIA> in der Berufsbezeichnung dienen – diesen Zusatz kann nur verwenden, wer wirklich einen Masterabschluss in Architektur oder Ingenieurwissenschaften gemacht hat.»

Schlägt sich diese geforderte Ausbildungsqualität auch in den Salären nieder? Nicht zwangsläufig. Ingenieure und Architekten erhalten durchschnittlich ein Basissalär von 117 000 Franken im Jahr, wie die jüngste Lohnerhebung 2011/12 von Swiss Engineering zeigt. Differenziert man dieses Salär nach Berufs- und Altersgruppen, kommt man zu einem zwiespältigen Fazit: «Vergleichsweise schlecht gestellt sind in allen Altersgruppen die Architekten», sagt Stefan Arquint, Generalsekretär von Swiss Engineering. Berufseinsteiger könnten nach dem Studium mit einem Anfangslohn von rund 75 000 Franken rechnen, die Architekten lägen mit 72 000 leicht darunter. Im Lauf der Karriere stiegen die Basislöhne bis auf etwa 138 000 Franken; das Maximum erreichten die Erwerbstätigen mit rund 55 Jahren.

Weitere Faktoren sind die Betriebsgrösse und die Region. Grosse Unternehmen bezahlen rund 15 Prozent mehr als kleinere, am spendabelsten sind Büros mit 10 bis 39 Angestellten. In Stadt und Agglomeration Zürich (inklusive Winterthur, Zug, Baden) sowie den Regionen Bern/Mittelland und Basel werden überdurchschnittlich hohe Löhne bezahlt. Die grössten Unterschiede basierten aber auf der beruflichen Position, betont Arquint: «Wer keine Führungs- oder Spezialistenfunktion innehat, bleibt in der Privatwirtschaft meist unter einem Jahressalär von 100 000 Franken. Spezialisten ohne Führungsfunktion kommen auf ähnliche Löhne wie untere Führungskader.»